Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
zu werden, fühlte sie sich jetzt wirklich als seine Frau. Er war ein Teil von ihr, und ohne ihn fühlte sie sich unvollständig. Jana seufzte.
»Euer Mann hilft uns reichlich wenig. Sagt uns, was er getan hätte«, schnauzte der Niederländer sie an.
Jana machte einen Schritt auf den Verletzten zu. Der Arme krümmte sich und wimmerte vor Schmerzen. Vorsichtig betastete Jana das Schultergelenk. Sie hatte keine Ahnung, wie sich ein gesundes Gelenk anfühlte. Der Verletzte zuckte zurück, obwohl Jana nur ganz vorsichtig darübergestrichen und außer heißer Haut noch nichts gefühlt hatte.
»Darf ich Eure Schulter berühren?«, fragte sie den Niederländer.
Der Mann hob überrascht seine buschigen Augenbrauen und spitzte den Mund: »Du kannst gern auch alles andere anfassen.« Er lachte über seinen Scherz, und die anderen Männer stimmten ein.
»Danke für das Angebot, aber im Moment will ich bloß wissen, wie sich das Schultergelenk eines gesunden Mannes anfühlt.«
Immer noch grinsend kam der Niederländer näher. Jana betastete mit beiden Händen die Schulter. Zum Glück hatte der Mann sich erst kürzlich gewaschen. Außerdem war er sehnig und dünn, sie konnte also wirklich seine Knochen spüren.
Jana schloss die Augen und versuchte, sich an das Skelett zu erinnern, das in Onkel Karels Apotheke in Prag gestanden hatte. Wie oft war sie als Mädchen daran vorbeigegangen und hatte sich vorgestellt, wie der Knochenmann sich nachts aus seiner Vorrichtung befreite und durchs Haus tanzte, während alle schliefen. Jana hatte die Knochen oft berührt. Eigentlich sollte sie wissen, wie ein Schultergelenk sich in richtiger Position anfühlte. Aber es war ein Unterschied, bloß einen leblosen Knochen anzufassen oder einen lebenden Menschen mit Muskeln und Fleisch drum herum. Im Fall des Verletzten gab es auch Schwellungen.
Jana ließ von dem Niederländer ab und kniete sich erneut zu dem Mann auf der Bank. Auf seine Schmerzen gefasst, berührte sie das Schultergelenk, versuchte es bloß zu ertasten. Der Mann jaulte auf, verdrehte die Augen und drohte das Bewusstsein zu verlieren. Jana versuchte seine Schreie so gut es ging zu überhören. Wenn sie ihm helfen wollte, musste sie die Schulter untersuchen. Konzentriert schloss sie die Augen. Es fühlte sich ganz anders an als bei dem Niederländer. Es war, als befände sich der dicke Oberarmknochen neben der Gelenkspfanne, aber Jana konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Sie konnte ja nicht unter das Fleisch schauen.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf: »Wenn wir versuchen, das Gelenk einzurenken, und es in Wirklichkeit gebrochen ist, wird der Arme verrückt vor Schmerzen.«
»Das wird er auch so«, sagte der Niederländer.
»Ich bin nicht kräftig genug«, wandte Jana ein.
»Ihr braucht uns bloß zu sagen, was wir tun müssen.«
Der Mann duzte sie nicht mehr. Oder hatte Jana sich eben verhört?
»Nun gut, dann legt den Mann flach auf den Boden, holt ein Stück Holz, das Ihr ihm zwischen die Zähne schiebt, sonst beißt er sich vor Schmerzen die Zunge ab, und flößt ihm zuvor eine Flasche Zuckerrohrbrand ein.«
Die Männer befolgten Janas Anweisungen. In der Zwischenzeit waren noch mehr Männer mit und ohne Verletzungen gekommen und füllten die Gaststube.
Im Nachhinein hätte Jana nicht mehr sagen können, was sie getan hatte. Es geschah in einer Art Trance, und sie hatte unheimlich viel Glück. Vier kräftige Männer hielten den Verletzten, der dank des Alkohols nicht mehr ganz bei Sinnen war, während zwei andere den Arm möglichst gerade mit einem heftigen Ruck von ihm wegzogen. Der Verletzte schrie so laut auf, dass sein Brüllen wahrscheinlich auf der ganzen Insel zu hören war. Jana schrak zusammen. Sie wusste, dass der arme Mann Höllenqualen durchstand. Als die zwei Helfer den Arm wieder losließen, sprang wie durch ein Wunder das Gelenk zurück in die ursprüngliche Form. Der Verletzte hörte auf zu schreien, und die vier Männer, die auf ihm knieten, setzten sich wieder auf.
»Ist er tot?«, fragte Estebana besorgt.
Aber der Verletzte selbst gab die Antwort. Er lallte betrunken. Jana konnte ihn nicht verstehen. Einer seiner Kumpane übersetzte und sagte, dass der Arm immer noch höllisch schmerzte, er ihn aber bewegen könnte.
Der Niederländer drehte sich überrascht zu Jana, schnappte sie und drehte sie einmal im Kreis.
»Gott hat Euch zu uns geschickt«, sagte er anerkennend. »Wer wird nicht gern von einer hübschen Frau behandelt. Ich glaube,
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