Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
streifte etwas, und als sie auf den Boden schaute, traf ihr Blick auf Toms Reisesack, der neben seinem Bett auf dem Boden lag. Er hatte ihn nicht zum Abendessen mitgenommen. Es durchfuhr Jana heiß. Sollte sie den Augenblick nutzen und nachsehen, ob sich in dem Sack eine Schatzkarte von Sir Walter Raleigh befand?
Seit dem Gespräch in der Kathedrale hatte Jana den Verdacht, dass auch Tom und Richard nach El Dorado suchten. Aber konnte sie den Reisesack jenes Mannes durchwühlen, der ihr die Flucht von Tobago ermöglicht hatte? Jana kämpfte mit ihrem Gewissen, aber nur kurz, dann siegte die Neugier.
Leise schlich sie zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und spähte hinaus. Der Gang war leer. Das orangerote Abendlicht fiel schräg durch die großen Fenster auf die hellen Fliesen. Jana lehnte die Tür nur an, damit sie hörte, wenn sich Schritte näherten. Rasch ging sie zurück zum Sack, kniete sich nieder und griff danach. Ihre Hände zitterten, als sie die Schnur auseinanderzog, die ihn zusammenhielt. Jana holte ein Ersatzhemd hervor, eine Schachtel mit Näh- und Zündzeug, ein kleines Messer, einen Becher und eine Bibel. Sie griff nach dem Buch, es wog schwer in ihrer Hand. Vorsichtig schlug sie es auf. Es war eine englische Bibel. Auch zweihundert Jahre nach John Wyclifs erster Bibelübersetzung ins Englische war es keine Selbstverständlichkeit, eine Bibel in einer Muttersprache in der Hand zu halten. Die meisten waren nach wie vor in Latein, auch in Prag, wo die Hälfte der Bewohner Lutheraner waren, besaßen nur wenige Menschen Bibeln in Deutsch oder Tschechisch. Jana blätterte um. Da fiel ihr ein zerknittertes, zusammengefaltetes Blatt entgegen. Eilig legte sie die Bibel zur Seite und ergriff das Blatt. Noch bevor sie es auffaltete, wusste sie, was sie gleich sehen würde. Und tatsächlich, es war eine Schatzkarte. Auf der rechten Seite standen die Städtenamen: Caracas, Merida, Barinas, San Cristóbal und Tunja. Aufgeregt holte Jana ihre eigene Karte unter ihren Röcken hervor und entfaltete sie. Sie legte die Karten nebeneinander und musste feststellen, dass sie nur wenige Ähnlichkeiten miteinander hatten. Auf Janas Karte befanden sich ebenfalls Städtenamen, die hatte Conrad in Lissabon eingesetzt. Ihre Karte beschrieb ein weites Gebiet, die genauen Aufzeichnungen beschränkten sich aber auf die Umgebung rund um Zipaquirà. Conrad hatte vor ihrer Abreise mit Hilfe seines Freundes Ferdinand den Weg von der Küste bis in den Westen recherchiert. Die wichtigsten Städtenamen hatte er auf den Rand der Karte gesetzt und den Weg in etwa aufgezeichnet. Stundenlang hatten Ferdinand und er Landkarten und Reiseberichte in der Universitätsbibliothek verglichen. Sie waren davon überzeugt, dass die erste Stadt auf Janas Karte Barinas war und die eigentliche Suche nach dem Schatz erst in Zipaquirà begann. Der Name Tunja wurde auf Janas Dokument nicht erwähnt. Auf Toms Karte war der Name Tunja zweimal durchgestrichen und dann erneut wieder aufgeschrieben worden. So als hätte der Zeichner nicht mehr genau gewusst, um welchen Ort es sich handelte. Außerdem waren auf Toms Karte eine Reihe von kleinen und größeren roten Kreuzen eingezeichnet. Das Einzige, worin die Karten sich glichen, waren die Wege, die von Zipaquirà beziehungsweise von Tunja wegführten. Sie hatten in etwa die gleiche Form und Länge. Doch Janas Wegbeschreibung war detaillierter. Hier waren Gebirgsformationen, auffallende Felsen und Weggabelungen eingezeichnet. Auf beiden Karten endete der Weg mitten in einem See. Wobei auf Janas Karte zwei Seen eingezeichnet waren und in einem der Seen sich eine Art Anhöhe oder Insel befand. Dieser Teil der Karte war leer und konnte nur gelesen werden, wenn man das Amulett hineinlegte. Dann ergab sich eine Höhle, die die Form einer gefiederten Schlange hatte.
Gerade als Jana sich die beiden Seen genau ansehen wollte, spürte sie einen kalten Lufthauch im Rücken. Die Tür öffnete sich geräuschlos, und jemand stand hinter ihr. Erschrocken fuhr Jana herum und ließ beide Karten fallen. Es war Tom, der sie fassungslos anstarrte.
»Was sucht Ihr in meinem Reisesack?«, fragte er tonlos.
»Ich … äh … es tut mir leid«, stammelte Jana verlegen. Ihre Wangen glühten vor Scham.
Tom stand immer noch reglos da und wartete auf eine Antwort, da betrat auch Richard den Raum und erfasste die Szene.
»Sagt bloß, Ihr wolltet allein mit unserer Schatzkarte weiterreisen«, sagte er. Er schien nicht
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