Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
denken.
Jana schluckte. Der Engländer hatte recht. Es ging sie nichts an, wie viel er trank. Dennoch fiel ihre Antwort ungewohnt scharf aus.
»Sauft Euch das Hirn aus dem Kopf, wenn Euch danach ist. Ich werde Euch nicht davon abhalten und Euch auch nicht mehr maßregeln.«
»Ich bitte darum.«
Schweigend gingen sie weiter. Jana versuchte, sich auf die Waren zu konzentrieren, die die Bauern auf bunten Decken am Boden ausgebreitet hatten. Die unbekannten Gerüche und Formen der Früchte halfen ihr, nicht mehr über den Streit nachzudenken. Melonen lagen neben Ananas, Guaven und Papayas, Kochbananen neben Mais und Süßkartoffeln. In einem der Körbe fand Jana die kleinen roten Früchte, die sie zuvor im Klostergarten gesehen hatte. Sie fragte die Marktfrau, wie die Schoten hießen und wozu man sie benutzte.
»Das ist Chili«, erklärte die Frau. »Die Spanier nennen es auch pimiento rojo , weil sie glauben, dass es roter Pfeffer ist. Aber das stimmt nicht, auch wenn es sehr scharf ist. Probiert!«
Die Frau hielt ihr eine der Schoten entgegen und warnte: »Aber seid vorsichtig. Schon ein winziges Stückchen führt dazu, dass Euch heiß wird und Euer Gaumen brennt.«
Neugierig nahm Jana die glänzende Schote entgegen. Sie roch daran, konnte aber keinen Geruch feststellen. Vorsichtig biss sie ein winziges Stückchen ab. Augenblicklich schossen ihr Tränen in die Augen, ihre Zunge brannte, und der Schweiß trat ihr aus allen Poren.
Die Marktfrau lachte. »Wir verwenden Chili zum Würzen. Man muss vorsichtig mit der Dosierung sein.«
Jana spuckte aus und pflichtete ihr bei. Nie zuvor hatte sie etwas gegessen, das ein so scharfes Brennen im Mund zurückließ. Es war, als hätte jemand ein Feuer darin entzündet.
Tom und Richard beobachteten sie interessiert.
»Wollt Ihr probieren?«, fragte Jana und hielt den Männern die angebissene Frucht entgegen.
»Nein danke«, sagte Tom eilig, und auch Richard schüttelte den Kopf und hielt die Hände abwehrend vor den Körper. Jana stellte erleichtert fest, dass er den Streit von zuvor vergessen zu haben schien.
Ihr Weg führte sie an weiteren bunten Obstständen vorbei. Sie hätten Proviant in Hülle und Fülle einkaufen können, aber solange sie keine Maultiere hatten, war an eine Fortsetzung der Reise nicht zu denken. Egal wo sie auch nachfragten, überall erhielten sie eine Abfuhr. Es war, als gäbe es in der ganzen Stadt kein einziges Lastentier zu kaufen.
Unverrichteter Dinge kehrten sie wieder zurück ins Kloster, wo Pater Carlos bereits mahnend auf sie wartete. Es war Zeit fürs Abendmahl.
»Ihr müsst Euch um Pünktlichkeit bemühen. Wir können nicht auf Euch warten«, sagte er ungehalten.
Jana musste zurück in ihre enge Kammer, wo sie eine Schüssel voll schwarzer Bohnen mit etwas Speck und Maisbrot serviert bekam. Sie fühlte sich wie eine Gefangene, die bestraft wurde, weil sie gegen Regeln verstoßen hatte. Doch ihr einziges Vergehen war es, eine Frau zu sein. Nach dem Essen kehrten Tom und Richard zu ihr zurück. Richard schlief rasch ein und schnarchte so laut, dass auch die Mönche am anderen Ende des Gangs ihn hören mussten. Als auch Tom seine Augen schloss und augenblicklich zu schnarchen begann, überlegte Jana, wie sie es schaffen sollte, bei diesem Lärm ebenfalls Schlaf zu finden. Unruhig wälzte sie sich von einer auf die andere Seite, hielt sich die Finger in die Ohren, zog sich die Decke über den Kopf, aber ohne Erfolg. Irgendwann weit nach Mitternacht fiel sie in einen unruhigen Halbschlaf und träumte von wilden Tieren.
Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Tom, Richard und Jana liefen durch die Stadt, fragten jeden Händler, Kaufmann und Bauern, ob er ihnen bei der Suche nach Maultieren behilflich sein könnte, und wurden jedes Mal abgewiesen. Jana verlor langsam die Geduld. Sie hatte das Gefühl, die Zeit lief ihr davon. Was, wenn Conrad längst in Barinas war? Wie lange würde er auf sie warten?
Am Abend des vierten Tages saß Jana mit einer Schüssel schwarzer Bohnen allein in der Gästekammer. Der Tag war wieder erfolglos gewesen. Weit und breit gab es niemanden, der ihnen seine Maultiere verkaufen wollte. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. Jana hatte den Atlantik überquert, war von der Pirateninsel geflüchtet, und nun saß sie in dieser Stadt fest, weil es keine Pferde zu kaufen oder mieten gab.
Verärgert stand sie auf und ging zu dem kleinen Fenster, das in den wunderschönen Innenhof des Klosters führte. Ihr rechter Fuß
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