Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
die Berge wieder höher und der Weg beschwerlicher wurden, gelang es ihr, die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf zu drängen. Je karger die Landschaft aussah, umso ausgefallener wurden die Pflanzen, die darin wuchsen. Sie ritten an Kakteen vorbei, die doppelt so hoch waren wie ein großer Mann. Die olivgrünen, dicken Blätter trugen Blüten in schillernden Regenbogenfarben und wirkten seltsam fremd in den kahlen Felsformationen.
Zu Toms und Janas Leidwesen hatte Richard in Barquisimeto seinen Vorrat an Zuckerrohrbrand wieder aufgefüllt. Seit Janas Überfall war der Engländer noch ruhiger und zurückhaltender als zuvor. Es schien, als hätte er sich völlig in sich zurückgezogen. Jeden Tag erstaunte es Jana aufs Neue, wie viel Alkohol er vertrug. Selbst nach einer ganzen Flasche Zuckerrohrbrand antwortete er auf Fragen in ganzen Sätzen und legte Manieren an den Tag, die höflich und zuvorkommend waren. Jana hielt sich dennoch an Tom und führte ihre Gespräche mit dem Diener, der ein gutmütiger, tief gläubiger Mann mit hohen Moralvorstellungen war. Er diente einem Mann, der dem Alkohol verfallen war. In Toms Augen verkörperte Richard den personifizierten Teufel. Jana stand zwischen den beiden und fühlte sich oft hin- und hergerissen.
Nach Barquisimeto ging die Reise weiter nach Mérida, einer Stadt, die sich hoch in den Anden befand. Jana war dankbar für ihren dicken Wintermantel, den sie vorsichtshalber in Caracas erstanden hatte. Nachts war es so kalt wie in harten Wintern in Prag. Tagsüber stiegen die Temperaturen auf angenehm frühlingshafte Werte.
In Mérida fanden sie eine Gaststube, in der sie auch übernachten konnten. Es war erstaunlich, wie einfach es für drei Männer war, eine Bleibe zu finden. Niemand wollte wissen, ob einer von ihnen verheiratet war. Als Mann konnte man reisen, wohin und mit wem man wollte.
Der Wirt stand hinter dem Tresen in seinem kleinen, dunklen Schankraum, in dem die Luft so dicht war, dass man meinen könnte, man müsse sie schneiden, während ein junges Mädchen in einem Kleid mit viel zu weitem Ausschnitt bediente. Lustlos stellte sie ihnen Holzschüsseln auf den Tisch, in denen sich dicker Bohneneintopf mit Chili befand. Nach dem Abendessen setzte der Wirt sich zu seinen Gästen. Tom hatte sich bereits zum Schlafen zurückgezogen, und Jana wollte ihm folgen, doch der Wirt hielt sie zurück.
»Bleibt doch noch. Der Abend ist noch jung!«, sagte er leicht lallend. Sein Gesicht war gerötet, er hatte schon am Nachmittag begonnen, mit seinen Gästen zu trinken.
Der Mann war geschwätzig und gierig darauf, Neuigkeiten von der Küste zu erfahren. Aber weder Jana noch Richard konnten ihm viel berichten. Da beschloss der Wirt, selbst zu reden, und erzählte von der Geschichte seiner Stadt, die sich nicht von denen anderer Städte unterschied. Die Spanier töteten mit einer unglaublichen Brutalität alle Männer, machten Frauen und Kinder zu Sklaven und suchten die Trümmer nach Gold ab. Die Geschichten wiederholten sich, und Jana war es leid, zuzuhören. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach und schreckte auf, als sie bemerkte, dass der Wirt sie mit glasigen Augen fragend ansah.
»Ihr hört mir ja gar nicht zu«, beschwerte er sich.
Als Jana nicht antwortete, sprach der Wirt weiter: »Der Spanier Suárez gab unserer Stadt den Namen Mérida, weil die Gegend ihn an seine Heimat erinnerte. Es heißt, er hat sich in das Land verliebt. Wenn ihr mich fragt, hat er sich in etwas anderes verliebt.« Der Mann grinste anzüglich und formte mit seinen Händen einen üppigen, weiblichen Körper.
Nun errötete auch Jana und machte dem betrunkenen Wirt Konkurrenz. Er deutete Jansas Schweigen als Bitte weiterzureden.
Hinter vorgehaltener Hand murmelte er: »Die Einheimischen sind toll im Bett. Habt Ihr schon mal mit einer …?« Er beendete den Satz nicht, stattdessen sah er Jana erwartungsvoll an. Die schüttelte beschämt den Kopf.
»Ich kann Euch jemanden für die Nacht besorgen«, lachte der Wirt und stieß Jana mit dem Ellbogen so heftig in die Rippen, dass sie ins Wanken geriet. Zum Glück saß Richard neben ihr und packte den Ellbogen des Wirtes, bevor dieser erneut zustoßen konnte.
»Mein Schankmädchen stammt aus einem Dorf in den Bergen. Sie erfüllt alle Wünsche.« Er schnalzte mit der Zunge. Jana fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie waren in einem Bordell gelandet. Noch bevor sie etwas sagen konnte, winkte der Wirt dem Schankmädchen, das ihr Tablett auf einem
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