Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Kinder? Stöhnte er innerlich. Foul! Kinder?
»Das ist Pietten, Soranals Sohn«, sagte plötzlich die Frau wie zur Antwort auf seine Gedanken. »Er mag die Pferde.«
»Das stimmt«, bestätigte einer der Späher. »Er saß vor mir und streichelte dem Ranyhyn den Nacken.«
Aber Covenant hörte nicht hin. Er musterte die Frau. Verwirrt kämpfte er sich durchs Trümmerfeld ihres Gesichts, die Kratzer und Verbrennungen, den Dreck und die Blutergüsse. »Llaura?« fragte er schließlich ungläubig.
Die Sonne sank, aber es gab keinen Sonnenuntergang zu sehen. Wolken trübten den Horizont, und eine kurze Dämmerung wich alsbald dem Dunkel der Nacht. Während die Sonne verschwand, nahm die Luft eine dichtere, schwüle Beschaffenheit an, als vergösse die Dunkelheit aus Angespanntheit Schweiß.
»Ja, ich kenne dich auch«, sagte die Frau mit gequälter Stimme. »Du bist Thomas Covenant, Zweifler und Träger des Weißgoldes. In der Gestalt Berek Halbhands. Jehannum sprach die Wahrheit. Großes Unheil ist über uns hereingebrochen.« Sie sprach jedes Wort mit außergewöhnlicher Sorgfalt aus, als balanciere sie es auf der Schneide eines Schwertes. »Ich bin Llaura, Annamars Tochter, eine der Heers von Holzheim Hocherhaben. Unsere Kundschafter müssen erschlagen worden sein. Wir erhielten keine Warnung. Seid ...« Aber als sie weiterreden wollte, scheiterte der Balanceakt ihres Sprechens plötzlich völlig, und sie verfiel in ständiges heiseres Stöhnen – »Uhn, uhn, uhn, uhn!« –, als sei die Verbindung zwischen ihrem Gehirn und ihrer Kehle auf einmal unterbrochen, sei sie in ein krampfhaftes Ringen gegen ein Unvermögen zum Weitersprechen gestürzt worden. Ihre Augen glitzerten aus wilder Konzentration, sie schüttelte heftig den Kopf, während sie Wörter zu bilden versuchte. Aber nichts als »Uhn, uhn, uhn!« kam über ihre zittrigen Lippen.
»So war sie, als wir ihr begegneten«, erklärte der Späher. »Im einen Augenblick kann sie reden, im nächsten wieder nicht.« Als sie das hörte, riß sich Llaura beinahe gewaltsam zusammen, unterdrückte ihre Hysterie, suchte die Behauptung des Bluthüters zu widerlegen. »Ich bin Llaura«, wiederholte sie. »Llaura, eine der Heers von Holzheim Hocherhaben. Unsere Kundschafter müssen erschlagen worden sein. Ich bin Llaura.« Hartnäckig begann sie von vorn. »Ich bin Llaura. Hütet Euch ...« Erneut ging ihre Stimme über in Stöhnen. »Uhn, uhn.« Ihre Panik wuchs. »Seid ... uhn, uhn, uhn. Seid ... uhn, uhn. Ich bin Llaura. Ihr seid die Lords. Ihr müßt ... uhn, uhn. Hin ... uhn, uhn, uhn.« Während sie sich abplagte, blickte Covenant in die Runde. Alle starrten Llaura eindringlich an; in Variols und Tamaranthas Augen standen Tränen.
»Jemand muß etwas unternehmen«, forderte Covenant mit leiser, kummervoller Stimme. »Irgend jemand.«
Urplötzlich machte Llaura den Eindruck, als müsse sie zusammenbrechen. Mit ihrer freien Hand griff sie sich an die Kehle. »Ihr müßt mich anhören!« schrie sie und begann zu wanken.
Als ihre Knie nachgaben, trat Prothall vor und fing sie auf. Mit einer heftigen Kraftanstrengung packte er ihre Oberarme und hielt sie vor sich aufrecht. »Halt!« gebot er. »Halt! Spring nicht mehr! Lausche mir und antworte mit deinem Haupt!« In Llauras Augen glomm ein Funke der Hoffnung auf, und sie entkrampfte sich; schließlich stellte Prothall sie wieder auf ihre eigenen Füße. Erneut faßte sie die Hand des Jungen. »Nun wollen wir sehen«, sprach der Hoch-Lord in gleichmäßigem Ton weiter. Er blickte tief in ihre von Pein erfüllten Augen. »Du bist nicht wahnsinnig. Dein Verstand ist klar. Man hat dir etwas angetan.« Eifrig nickte Llaura: Ja . »Als die Bewohner des Holzheims zu fliehen versuchten, bist du in Gefangenschaft geraten.« Wieder nickte sie: Ja . »Du mit dem Kind.« Ja . »Und ihm ist auch etwas angetan worden?« Ja . »Weißt du, was?« Sie schüttelte den Kopf: Nein . »Ist euch beiden das gleiche zugefügt worden?« Nein . »Aha«, meinte Prothall seufzend. »Beide sind nicht getötet, sondern gefangengenommen worden. Und der Lehrenkundige der Urbösen hat euch mit etwas behaftet?« Llaura nickte: Ja . Sie schauderte. »Euch eine Schädigung zugefügt.« Ja . »Diese Schwierigkeit verursacht, die du jetzt beim Sprechen hast.« Ja . »Nun geht und kommt deine Fähigkeit zum Reden.« Nein! »Nicht?« Prothall unterbrach die Befragung, um zu überlegen.
»Hölle und Verdammnis!« Covenant mischte sich ein. »Sie soll's
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