Der Fluch des Verächters - Covenant 01
ihr Bündel von der Schulter und setzte sich rücklings an den Baumstamm, den Blick hangabwärts gewandt, in die Tiefe der Mulde. »Bezähme dein ergrimmtes Herz, Zweifler«, sagte sie leise, sobald er sich zu ihr gesellt hatte. »Wir sind noch zur rechten Zeit gekommen. Dies ist Banas Nimoram , das Monddunkel zur Frühlingsmitte. Solange meine Altersgenossen leben, hat nie eine Nacht eines solchen Zusammentreffens stattgefunden, eine solche Nacht des Besonderen und der Schönheit. Miß das Land nicht an deinen Maßstäben. Warte. Dies ist Banas Nimoram , das Frühlingsfest – die schönste der Festlichkeiten zum Dank für all die Schätze der Erde. Wenn du die Luft nicht mit Groll vergiftest, werden wir den Tanz der Geister von Andelain sehen können.« Während sie sprach, klangen volle Töne von Harmonien in ihrer Stimme mit, als wolle sie im nächsten Augenblick zu singen anfangen; und Covenant erahnte die Kraft ihrer Verheißung, obwohl er sie nicht verstand. Dies war nicht die richtige Zeit für Fragen, und er setzte sich zurecht und machte sich aufs Warten gefaßt, um zu schauen, was sich dem Auge bieten mochte.
Allerdings fiel das Warten nicht schwer. Zunächst einmal teilte Atiaran das Brot und überließ ihm dazu den Rest des Frühjahrsweins, und der Verzehr von Speise und Trank vertrieb einen Teil seiner Mattigkeit. Später, als sich das Dunkel der Nacht ringsum vertiefte, merkte er, daß die Luft, die aus der Mulde heraufströmte, eine beruhigende, zuträgliche Wirkung ausübte. Als er einen tiefen Atemzug nahm, schien sie seine Spannungen, seine Verkrampfung im Handumdrehen zu lösen, alles außer dem Bewußtsein von sich selbst in den Hintergrund zu drängen, und er geriet in einen Zustand ruhiger Erwartung. Im schwachen Wind lockerte sich seine Haltung, und er lehnte sich bequemer an den Baum. Atiarans Schulter wärmte seinen Oberarm, als habe sie ihm verziehen. Die Dunkelheit verfinsterte sich immer stärker, die Sterne schienen ebenfalls in ihrem Schimmer hoffnungsvolle Erwartung auszudrücken; Covenant hatte das Gefühl, der Wind wehe von seinem Herzen Staub und Spinnweben – und das Warten fiel ihm tatsächlich immer leichter.
Das erste Flackerlicht tauchte auf wie eine plötzliche entscheidende Begebenheit, die den Brennpunkt der gesamten Nacht ergibt. Über die Weite der Geländemulde hinweg sah er eine Flamme, die einem Kerzenflämmchen ähnelte – winzig infolge der Entfernung, trotzdem lebhaft, in gelbem, orangenem Zucken, so klar, als hielte er selber die Kerze in seiner Hand. Sonderbarerweise war er von Anfang an davon überzeugt, daß die Entfernung bedeutungslos war; daß die Flamme, befände sie sich gleich vor ihm im Gras, nicht größer wäre als seine Hand. Als die Geister erschienen, saugte Atiaran heftig zwischen zusammengebissenen Zähnen den Atem ein, und Covenant setzte sich aufrechter, um dem Schauspiel noch mehr Aufmerksamkeit widmen zu können. In glatter Kreisbewegung schwang sich die Flamme hinunter in die Mulde. Sie hatte die Abwärtsbewegung noch nicht zur Hälfte durchgeführt, da näherte sich vom nördlichen Rand der Mulde eine zweite feurige Erscheinung. Dann kamen zwei weitere ›Geister‹ aus dem Süden – und dann, zu plötzlich, zu viele auf einmal, um zählbar zu sein, schwärmte eine beträchtliche Masse von Flammen aus allen Richtungen, aber auf individuellen Bahnen hinab in die Mulde. Einige kamen beiderseits von Atiaran und Covenant im Abstand von nur vier oder fünf Metern vorbei, doch allem Anschein nach bemerkten sie die Beobachter nicht oder machten sich aus ihnen nichts; jede verfolgte ihren langsamen, spiralförmigen Abwärtskurs so unbeirrbar, als wäre sie allein zwischen den Hügeln, unabhängig und ausgeschlossen von jedem außer dem eigenen Glanz. Und doch vereinte sich ihr gemeinsames Leuchten, bildete über der Mulde einen Dom aus goldenem Schimmer, durch den sich die Sterne kaum noch erkennen ließen; und in gewissen Augenblicken konnte man meinen, daß diese oder jene ›Geister‹ sich umkreisten und voreinander verneigten, als begrüßten sie sich auf ihrem Weg zum Mittelpunkt der Mulde. Covenant wagte kaum zu atmen, während er das gewaltige massenweise Einschweben beobachtete, das Tausende von Flammen in die Mulde brachte, wovon viele nur in Schulterhöhe vorbeigaukelten. In der Grenzenlosigkeit seines Staunens kam er sich vor wie ein unerlaubter Gaffer, der Zeuge irgendeines für menschliche Augen gar nicht bestimmten okkulten
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