Der Fluch vom Valle della Luna
Arm.
»Commissario! Was für eine schöne Überraschung. Ich habe gerade an dich gedacht.«
Sie legte die Kleider auf einem Sofa ab und drückte Nelly fest an ihren üppigen Busen. Claire hatte eine Nichte und eine ihrer Schützlinge durch den, oder besser gesagt die Serienkiller verloren und Nelly tatkräftig, wenn auch mit eigenwilligen Methoden, bei den Ermittlungen unterstützt: Als Medium hatte sie der Kommissarin wichtige Hinweise zur Ergreifung der Täter geliefert.
»Hier ist ja alles neu! Dich muss man nur einen Moment aus den Augen lassen, und schon gibt’s eine Revolution. Was macht ihr denn hier?«
Nelly blickte sich begeistert um und griff nach einem der Kleidungsstücke, die Claire ihr hinhielt. Ein schlichtes türkises, kaftanartiges Kleid mit braunem und schwarzem Muster und einem silbergesäumten Ausschnitt. Wunderschön.
»O ja, in letzter Zeit hat sich hier einiges verändert. Die Stadt hat Fördermittel für das Viertel rund um die Via della Maddalena vergeben, damit hier Läden und Werkstätten entstehen. Damit wollen sie das Viertel aufwerten und unternehmerische Initiativen vor allem von Frauen unterstützen. Wir haben einen Antrag gestellt und hier ist das Ergebnis.« Sie zeigte stolz auf das Chaos ringsherum.
»Ihr habt einen Laden bekommen?«, staunte Nelly.
»Einen Laden mit Werkstatt. Dreißig Prozent stecken wir rein, den Rest die Stadt, und davon sind fünfzig Prozent rückzahlungsfrei. Die andere Hälfte bekommen wir zu sehr günstigen Zinsen. Na, wie findest du das, Commissario?«
»Großartig finde ich das. Näht ihr die Kleider selbst?«
»Zum Teil ja, aber einiges lassen wir auch aus dem Senegal oder anderen afrikanischen Ländern kommen. Und das ist erst der Anfang.«
Nelly hielt sich das türkise Kleid an. Claire lächelte verschmitzt.
»Gefällt es dir? Für dich mache ich einen Sonderpreis, Commissario. Probier’s an.«
Nelly ließ sich das nicht zweimal sagen. Es stand ihr wirklich gut. Früher oder später würde der Frühling oder zumindest der Sommer schon kommen. Im nächsten Moment war Nelly um ein neues Kleid und mehrere Ketten reicher, darunter ein Perlenamulett, das das Liebesleben fördern sollte. Zu Claire und den beiden jungen Frauen gesellten sich neugierig zwei vier- oder fünfjährige Kinder. Sie fingen an, mit den Ketten zu spielen, wurden jedoch sogleich von Claire verscheucht und flitzten lachend davon. Schließlich fing eine der beiden Frauen an zu kochen, und Nelly wurde zum Mittagessen eingeladen. Es gab ceebu ginaar , Reis mit Huhn, himmlisch. Als sie gehen wollte, nahm Claire sie beiseite und sah ihr in die Augen.
»Du musst sehr aufpassen, Commissario.« Nelly schluckte.
»Worauf, Claire?«
»Auf dich. Sei vorsichtig, etwas Bedrohliches hängt über dir, ein Schatten. Sei wachsam. Du läufst auf einem Pfad des Hasses.« Sie lächelte, um die Wirkung ihrer Worte zu mildern. Nelly schluckte abermals, entschlossen, Claires Warnung zu beherzigen.
Als Nelly beim Präsidium ankam, traf sie auf Marco Auteri, der draußen vor dem Eingang eine Zigarette rauchte.
»Nelly, ich wollte dich gerade anrufen. Es ist etwas Entsetzliches passiert.« Er nahm sie beim Ellenbogen und zog sie ins Gebäude.
»Etwas Entsetzliches? Sag nicht, dass es wieder um die Pisus geht!«
Marco blieb stehen und blickte sie betroffen an.
»Giancarlo Pisu ist tot. Er hat sich im Gefängnis umgebracht. Es tut mir so leid für seine Schwester. Als sie es erfahren hat, ist sie zusammengebrochen, hat mir die Tante erzählt. Sie ist ein großartiges Mädchen, so viel Pech hat sie nicht verdient.«
Nelly sah ihn verwundert an, ohne auf die Bemerkung einzugehen.
»Wie hat er sich umbringen können? Wurde er nicht überwacht? In seinem Zustand, Himmel noch mal!«
»Offenbar hat er einen Teil seiner täglichen Tablettenration verstecken können und sie dann alle auf einmal genommen. Als man ihn fand, war es bereits zu spät.«
VIII
Die x-te Beisetzung im Hause Pisu. Nun hat sich auch Giancarlo zu Großvater, Vater und Onkel in die Familiengruft der Pisus gesellt. Doch während Anselmos und Alceos Trauerfeiern gesellschaftlichen Ereignissen gleichkamen, zu denen auch Politiker, Freunde, Bekannte, Kollegen und Neugierige erschienen waren, hatte sich für den armen Giancarlo nur ein spärliches Grüppchen eingefunden. Nelly im grauen Hosenanzug steht neben Sandra in einem eleganten dunkelblauen Kostüm, die nicht merkt, dass sie schon seit einigen Minuten den Kopf
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