Der Fluch vom Valle della Luna
schüttelt, so betroffen ist sie.
Nelly lässt den Blick über die Anwesenden schweifen: die Mutter Alice in einem ganz offenbar sündhaft teuren schwarzen Kleid, dessen Anschaffung sich allerdings gelohnt hat, denkt Nelly zynisch. Ihre Miene ist völlig stumpf, sie scheint noch nicht einmal mitgekriegt zu haben, dass es ihr Sohn ist, der hier zu Grabe getragen wird. Da sie sich allein nicht auf den Beinen halten könnte, wird sie von Signor Pizzi gestützt, dessen Pferdegesicht noch niedergeschmetterter dreinblickt als sonst. Neben ihm seine Frau Marilena mit düsterer Miene und in einem eleganten, kreischend fuchsiafarbenen Anzug. Die scheint ebenfalls nicht begriffen zu haben, dass heute ihr Neffe beigesetzt wird. Jeder trauert zwar auf seine Art, aber Fuchsia erscheint mir doch ein bisschen arg daneben. Interessant ist die Anwesenheit von Marco Auteri in rein privater Sache. Eine völlig aufgelöste Serena Pisu stützt sich auf seinen Arm, um nicht zusammenzubrechen. Sie starrt ins Leere. Auch sie muss sich irgendeinen chemischen Cocktail genehmigt haben, um die Zeremonie halbwegs zu überstehen. Über ihre Garderobe hingegen hat sie sich offenbar keinerlei Gedanken gemacht: Sie trägt eine alte schwarze Jacke und dunkelbraune Trainingshosen. Trotzdem ist sie hübsch, so zerbrechlich, mit den goldenen Haaren, die ihr über die Schultern fallen. Ich glaube, Marco ist dabei, sich zu verlieben. Oder vielleicht ist es wirklich nur Mitleid, wer weiß ... Jedenfalls scheint er sie in letzter Zeit öfter getroffen zu haben. Nicht besonders professionell, mein Lieber.
Neben Marilena steht eine sehr viel größere junge Frau, die Nelly noch nie gesehen hat. Sie hat das lange, trübsinnige Gesicht des Signor Pizzi. Richtig: Das Paar hat eine Tochter Ende zwanzig, die seit Jahren in Amerika lebt. Zu den anderen Beisetzungen hatte sie sich nicht herbemüht, vielleicht hing sie an ihrem Cousin. Nelly mustert sie eingehend. Plötzlich hebt die Frau den Blick und sieht Nelly an. Marilenas Augen in Pizzis Gesicht. Es sind harte, feindselige Augen. Nelly sieht weg und entdeckt den Menschen, den sie als Letztes hier erwartet hätte: Maria Grazia Pisu. Auch sie war nicht zu den Trauerfeiern der Brüder erschienen. Diesmal jedoch ist sie gekommen, ganz in Schwarz. Sie steht ein wenig abseits, mit gewohnt abwesender Miene. Der Geistliche erteilt den letzten Segen.
»Giancarlo hätte das nicht gefallen. Der war überhaupt nicht gläubig, der Ärmste«, flüstert Sandra Nelly ins Ohr.
»An den Satan und die Verdammnis hat er aber schon geglaubt«, wispert sie zurück.
»Was meinst du? An was glaubte er?«
»Vergiss es, Sa, ich erzähl’s dir später.«
Am Rand stehen weitere Trauergäste, die einzigen außer ihr und Marco Auteri, die nicht zur Familie gehören: Giancarlos Anwältin Fiorenza De Mattei, Basile und Filippo De Magistris. Dazu ein hochgewachsener, sportlicher älterer Herr mit weißem Haar, den Nelly nicht kennt.
Der kleine Trauerzug ist von Marilena Pizzi zu einem Kondolenzempfang in ihre Wohnung gebeten worden. Ziemlich unpassend, wenn man bedenkt, wie der Neffe zu Tode gekommen ist. Für Nelly jedoch eine ideale Gelegenheit, die Pisus und ihre Freunde zu beobachten. Lange schwarze, extra für den Anlass gemietete Limousinen warten vor dem Staglieno-Friedhof und bringen die Angehörigen und Kondolierenden in die Via Corsica. Es herrscht gespenstische Stille. Nur Magraja fehlt, sie hat sich damit entschuldigt, dass Celeste früh wegmuss und man die Mutter nicht allein lassen kann. Marilena hat sich gehütet, sie zurückzuhalten. Und jetzt sind alle im makellos weißen Wohnzimmer versammelt, wo sich das Schwarz der Trauergäste mit dem Fuchsia der Hausherrin beißt. Der Diener hat Unterstützung von einem Catering-Service bekommen. Auf zwei langen, weiß gedeckten Tischen stehen Canapés mit Kaviar, Räucherlachs, Russischem Salat, Kalbszunge in Grüner Sauce und eine großzügige Auswahl von Käse und Obst. Hinter einem der beiden Tische schenkt einer der Kellner Aperitifs und Wein an die immer noch schweigsamen Gäste aus, was inzwischen jedoch an ihren vollen Mündern liegen dürfte. Nur Serena rührt keinen Bissen an. Sie hat sich in einen Sessel gekauert, neben sich Marco Auteri, der ihre Hand hält. Die Mutter schaufelt das Essen in sich hinein, doch Marilena hat ein Auge auf sie, und als sie sich den Getränken nähert, nimmt sie sie beim Arm, zieht sie unsanft weg und gibt den Kellnern eine klare
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