Der Fluch vom Valle della Luna
anderen Entführung an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit scheinen zuzunehmen. Romeo Pizzi vergräbt den Kopf in den Händen.
»Ich liebe Marilena schon lange nicht mehr. Sie hat mir das Leben ... nicht leicht gemacht, sie hat unsere Tochter von uns distanziert ... Eigentlich sollte ich sie hassen, aber konnte ich zulassen, dass die Entführer sie umbringen?«
Die Frage ist offensichtlich nicht an die Polizisten, sondern an ihn selbst gerichtet. Tano hat nicht sonderlich viel Verständnis für den Mann.
»Sie werden jetzt tun, was wir Ihnen sagen, und enthalten Sie uns um Himmels willen keine Informationen mehr vor. Die Freilassung einer Geisel ist der heikelste Moment einer Entführung, wenn es denn eine Freilassung gibt«, schließt er böse, und Pizzi zuckt zusammen.
»Freilassung hin oder her, was Sie auf jeden Fall interessieren wird, ist vielleicht nicht, die fünf Millionen zurückzubekommen, denn die scheinen Peanuts für Sie zu sein, sondern die Entführer bestraft zu sehen, oder irre ich mich?«
Nelly versucht, weniger hart zu klingen als Tano, doch es fällt ihr schwer.
Romeo Pizzi lässt den Kopf hängen und nickt wortlos.
XIII
Die nebulöse Ankündigung »Bald« ist inzwischen sechs Tage alt. Die fünf Millionen haben sich im Web verflüchtigt. Die E-Mail an Romeo Pizzi war aus einem Internetcafé in der Altstadt abgeschickt worden, was zumindest bedeutet, dass die Entführer nicht weit sind. Auf dem Forderungsschreiben sind außer den Fingerabdrücken von Celeste, Magraja und Pizzi keinerlei verwertbare Spuren. Seufzend studiert Nelly die Berichte, die Valeria ihr auf den Schreibtisch gelegt hat. Einige kommen aus Sardinien. Boboi Sogos scheint sich aus seinem Heimatdorf nicht wegbewegt zu haben, während der letzten zehn Tage wurde er sogar täglich im Ort gesehen, was für ihn ungewöhnlich ist. Als hätte er zeigen wollen, dass er da ist. Der Neffe Emanuele Sogos hingegen war geschäftlich auf dem Festland, in der Toskana. Offenbar hat er sich Genua und Novi nicht genähert, er ist in Siena gesehen worden, wo er in einem Hotel in der Altstadt abgestiegen ist. Verdrossen schüttelt Nelly den Kopf. Gerade will sie mit dem Papierstoß in der Hand zu Tano gehen, als das Telefon klingelt. Nach kurzem Zögern macht sie kehrt.
»Basile? Wie? Etwas sehr Wichtiges? Ja, verstanden. Würde es Ihnen etwas ausmachen, hier vorbeizukommen? Ach so. Und wann erwarten Sie Ihren Klienten? Okay, dann komme ich zu Ihnen.« Sie blickt auf die Uhr. »In Ordnung, bis gleich.«
»Und, was sagst du? Noch Einwände?« »Nein. Du bist großartig, einfach großartig. Trotzdem habe ich das Gefühl, am Rand eines Abgrundes zu balancieren, der uns anzieht, auf uns wartet. Hör auf, ich bitte dich. Es reicht.« »Erst, wenn alles gemacht ist. Erst dann reicht es. Lass mich den nächsten Schritt planen.«
Auf dem Weg zur Privatdetektei war das ungute Gefühl, das die Nachricht der Lösegeldzahlung in Nelly ausgelöst hatte, immer noch da. Entführungen, bei denen das Lösegeld gezahlt worden und die Geisel nicht zurückgekehrt war, hatte es leider häufig gegeben. Und im Grunde ihres Herzens »wusste« Nelly, dass Marilena Pizzi nicht mehr auftauchen würde. Das gehässige Stimmchen raunte ihr ins Ohr, die Würfel seien gefallen und auch für Marilena habe sich die düstere Prophezeiung erfüllt: »Schweine. Dafür werdet ihr büßen.« Doch was sollte Marilena büßen, die zur Zeit der Simon-Entführung und des möglichen Verrats noch ein Kind gewesen war, genau wie ihre Brüder? Grübelnd und eine Scheibe Focaccia aus einer Bäckerei an der Ecke Via XXV Aprile kauend, bog Nelly in die Via San Matteo ein und fragte sich, welche Neuigkeiten Basile wohl für sie hätte. Die Stimme des Ex-Brigadiere, der sonst stets ruhig und gelassen blieb, hatte am Telefon fast gezittert.
Als sie in seinem Büro eintraf, war Basile beschäftigt. Nelly setzte sich und vertiefte sich in die Zeitschrift La Casana , das vierteljährlich erscheinende Blatt der Genueser Sparkasse, die einzige Lektüre, die den Klienten der Detektei neben dem Carabinieri-Magazin zur Verfügung stand. Nach einer Viertelstunde kam Basiles Kunde endlich heraus, fast im Laufschritt und ohne sich umzublicken. Nelly erhaschte das flüchtige Bild einer gut gekleideten Frau mittleren Alters mit rotgeweinten Augen. Ein untreuer Ehemann? Ein drogenabhängiges Kind? Wer weiß ... Gleich darauf erschien Basile in der Tür seines Büros.
»Guten Tag,
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