Der Fluch vom Valle della Luna
erweichen.
»Wenn er mich sieht, macht er vielleicht keine Dummheiten. Er vertraut mir. Vielleicht ist alles nur ein Missverständnis ...«
Basiles Stimme klang flehentlich. Nelly und Marco wechselten einen Blick, und der Vizekommissar zuckte mit den Achseln. Er hatte nichts dagegen. Widerwillig gab Nelly nach und hoffte, dass sie es nicht bereuen würden. Sie klingelten, und Filippos Stimme erscholl in der Gegensprechanlage.
»Wer ist da?«
»Ich bin’s, Basile. Dottoressa Rosso ist auch hier. Können wir raufkommen? Es gibt ein paar Neuigkeiten, die wir gern mit dir besprechen würden.«
Basile hatte ganz normal geklungen. Das war ihm nicht leicht gefallen. Die Antwort klang ebenfalls gelassen.
»Klar, Brigadiere. Kommen Sie rauf.« Die Eingangstür sprang auf.
Filippo wohnte im sechsten Stock eines Hauses, das einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Zwar wurde das Gebäude saniert, doch ließ die Fassade nicht erahnen, dass die gesamte Rückseite eingerüstet war, um das Dach zu erneuern. Die Stufen waren steil und ausgetreten, wie so oft in den Genueser Altstadthäusern. Das Treppenhaus roch nach Stockfisch, doch keiner der drei konnte gerade an Essen denken. Scheinbar völlig relaxt stand Filippo in weißem T-Shirt und ausgewaschenen blauen Trainingshosen in der Tür. Nur bei Auteris Anblick runzelte er kaum merklich die Stirn.
»Guten Tag, Brigadiere, wie geht es Ihnen, Dottoressa? Verzeihen Sie, ich bin wirklich nicht vorzeigbar. Wegen dieser verdammten Prüfung habe ich mich hier völlig vergraben. Strafrecht.« Er warf Basile einen fragenden Blick zu und wurde sofort beschwichtigt.
»Das hier ist Vizekommissar Auteri, Nellys Kollege. Können wir reinkommen, Filippo?«
»Klar doch ...« Er trat zur Seite und ließ die drei in die geräumige Diele treten. Die Wände waren vor kurzem gestrichen worden, und der Raum war als Studierkammer eingerichtet: ein Computer in einer Ecke beim Fenster, zahllose Bücher auf dem Computertisch, dem Boden und in einem Regal an der Wand. Drei behagliche, mit bedruckten Baumwolltüchern bedeckte Sessel, vielleicht aus einem Trödelladen, verbreiteten eine wohnliche Atmosphäre. Von der Diele gingen drei Türen ab. Lautlos tauchte eine schwarze Katze auf und strich um Filippos Beine. Der sah seine unerwarteten Gäste ratlos an. Er ahnte langsam, dass etwas nicht stimmte.
»Darf ich den Grund erfahren ...«, hob er unsicher an und sah zu Basile hinüber. Nelly nahm ihm die Antwort ab. Sie zog das Foto der Frau mit dem kleinen Mädchen aus der Tasche und hielt es Filippo unter die Nase, der einen halben Meter zurückwich.
»Das ist der Grund, Filippo. Diese Frau ist Ihre Großmutter, stimmt’s? Maria Immacolata Sogos, Pannis Frau. Und das kleine Mädchen ist Ihre Mutter, Filomena Sogos. Richtig?«
Filippo wirkte wie versteinert. Schweigend starrte er das Foto an. Dann presste er mühsam hervor:
»Ja, so ist es. Aber wie sind Sie an dieses Foto gekommen?«
Nelly zeigte ihm auch den Personalausweis.
»Genau so, wie an dieses hier, auf dem Ihre Großmutter als alte Frau zu sehen ist. Basile hat sie in der Schublade ihres Computertisches im Büro gefunden.«
Filippo war blass geworden. »Das kann nicht sein«, stammelte er.
»Und wieso nicht, das sind doch Ihre Fotos, oder nicht?«
Filippo schüttelte den Kopf.
»Das sind meine, aber sie sind mir zusammen mit meinen Papieren in Sardinien gestohlen worden, als ich in dieses Loch im Valle della Luna gestürzt bin. Die Büroschlüssel wurden mir auch gestohlen ...«
Basile konnte nicht mehr an sich halten.
»Und das hast du mir nicht gesagt? Filippo, was hat das alles zu bedeuten? Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du mit den Sogos verwandt bist? Wieso hast du das verheimlicht? Und warum hast du mich ausspioniert? Ich hab die Wanzen im Büro entdeckt.«
Filippo war völlig fassungslos.
»Brigadiere, als ich bei Ihnen angefangen habe, gab es keinen Grund, Ihnen meine Familiengeschichte zu erzählen. Und später, als diese ganze Sache mit den Pisus losgegangen ist, wollte ich nicht, dass Sie denken ... Niemand sollte wissen, dass meine Großmutter Panni Sogos’ Witwe war. Sie hatte sogar den Namen ihrer Mutter angenommen, als sie aus Sardinien kam, und sie hat wieder geheiratet, ohne sich jemals scheiden zu lassen. In Neapel, einen gewissen Pasquale Capitone, der bald darauf bei einem Arbeitsunfall gestorben ist. Dann ist sie mit meiner Mutter zuerst nach Pavia und dann nach Genua gezogen. Nicht ein Wort wollte sie
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