Der Fluch vom Valle della Luna
über die Vergangenheit hören, geschweige denn verlieren. Wer die Sogos waren, die ganze Geschichte, das alles hat sie mir erst kurz vor ihrem Tod erzählt.« Tränen glänzten in seinen Augen. »Aber die Wanzen im Büro habe ich ganz bestimmt nicht installiert!«
»Du kommst jetzt mit uns mit aufs Präsidium, mein Junge, und dort werden wir mal ein bisschen miteinander plaudern«, schaltete sich Marco ein. Panik malte sich auf Filippos Gesicht.
»Wieso? Wessen werde ich beschuldigt? Einen Großvater im Gefängnis gehabt zu haben, ist doch kein Vergehen. Ich kenne meine Rechte, ihr könnt nicht ...«
Nelly zog den Durchsuchungsbefehl hervor.
»Wieso können wir dich nicht als mit den Fakten vertraute Person verhören und deine Aussage aufnehmen, Filippo? Was ist daran so merkwürdig? Es gibt einigen Klärungsbedarf. Aber zunächst wollen wir uns hier ein bisschen umsehen.« Sie machte Marco und Basile ein Zeichen, mit der Durchsuchung zu beginnen. Filippo stand stocksteif da und warf Basile einen verzweifelten Blick zu.
»Brigadiere, Sie kennen mich. Ich sage Ihnen, ich ...«
Doch Basile antwortete nicht. Nelly sah sich in der Wohn-Arbeits-Diele um. Auf dem Boden lagen Vorlesungsnotizen und ein paar juristische Texte.
»Was hast du denn gerade Schönes gelernt?«
»Strafrecht, das hatte ich doch schon gesagt«, entgegnete Filippo kaum hörbar. In dem hölzernen Bücherregal stand von allem etwas, von den Klassikern in Taschenbuchausgabe bis hin zu Ammaniti und Saviano. Filippo beobachtete sie beklommen.
»Ich ... Es stimmt nicht, dass ich an einer Amnesie leide, ich weiß, was mir im Valle della Luna passiert ist«, haspelte er plötzlich hervor.
»Wirklich? Und wieso hast du uns das verschwiegen?«
Nervös trat Filippo von einem Bein aufs andere.
»Weil es was mit der Familie meiner Mutter zu tun hatte und ich nicht wollte, dass es herauskommt.«
Nelly wollte gerade weiterbohren, als Marco aus der Küche kam. Er hielt einen ziemlich großen, zerknitterten und blutbefleckten rosa Schlüpfer in der behandschuhten Hand. Filippo und Nelly blickten ihn fragend an.
»Hast du deine Tage, Filippo?«, fragte Marco Auteri eisig. »Irgendetwas sagt mir, dass das Blut auf diesem Slip nicht von dir stammt.« Er steckte die Unterhose in eine durchsichtige Plastiktüte. Auch Basile kehrte in die Diele zurück.
»Wo ist Marilena Pizzi, Freundchen?«, bellte er Filippo an. »Wenn du mitarbeitest und es uns sofort sagst, gibt’s Strafmilderung, aber sollte ihr in der Zwischenzeit etwas zugestoßen sein ...« Er fuhr sich mit der Handkante an der Kehle entlang. Filippo De Magistris war wie vom Donner gerührt und brachte keinen Ton heraus. Schließlich krächzte er: »Ich habe diese Unterhosen noch nie gesehen. Wo habt ihr sie gefunden? Das sind nicht meine.«
»Ach nein? Tja, die lagen in einer Tüte auf deinem Balkon, zusammen mit dem hier.« Er hielt einen ebenfalls blutbesudelten Fetzen hoch.
»Auf geht’s ins Präsidium. Dort werden wir den Fetzen und den Slip untersuchen lassen, dann wissen wir, wessen Blut das ist, wenn es sich denn um Blut handelt.«
Nelly machte einen Schritt auf Filippo zu, der noch blasser geworden war, doch plötzlich sehr ruhig wirkte.
»In Ordnung. Kein Problem, ich komme mit und werde alles aufklären. Kann ich mir einen Pullover und meine Papiere holen?«, fragte er und trat auf die Küchentür zu. Ehe die drei es sich versahen, hatte er die Tür hinter sich zugeschlagen und den Schlüssel umgedreht.
»Filippo! Mach’s nicht noch schlimmer, komm sofort raus, was hast du vor?«
Basile trommelte mit den Fäusten gegen die Tür.
»Vor der Küche gibt es einen kleinen Balkon, von dem aus man auf das Baugerüst klettern kann. Schnell, ich gehe runter und passe ihn ab, sonst geht er uns durch die Lappen.« Marco stürzte die Treppe hinunter. Nelly konnte nicht glauben, dass der Junge sie so kaltschnäuzig übers Ohr gehauen hatte. Endlich gelang es ihr und Basile, das Schloss zu öffnen. Die Küche und der kleine Balkon waren leer. Sie lehnten sich über die Brüstung, doch auch auf dem Baugerüst war von Filippo keine Spur.
»Hier ist er nicht«, erscholl Marcos Stimme von unten. »Wo hat sich dieses Arschloch verkrochen?«
Ratlos und zerknirscht blickten Nelly und Basile einander an. Der Sogos-Spross war ihnen vor ihren Augen entwischt.
XIV
Seit zwei Tagen gab es von Filippo Giovanni De Magistris keine Spur. Die Untersuchungsergebnisse der Unterhose und des
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