Der Fluch vom Valle della Luna
Simon-Entführung in Sardinien ist damals genauso gelaufen. Ein blutbeflecktes Leibchen, und das war’s. Von der Geisel hat man nie wieder was gehört. Die Lösegeldzahlung ist erfolgreich verlaufen, genau wie jetzt, doch dann ist etwas schiefgegangen und das Mädchen ist möglicherweise ermordet und irgendwo verscharrt worden.«
Tano schien nicht sonderlich beeindruckt und erst recht nicht überzeugt zu sein.
»Wenn deine Phantasie mit dir durchgeht, rette sich, wer kann! Darf ich dich darauf hinweisen, dass bei der ersten Entführung Gavino Sogos auf der Strecke geblieben ist und sein Bruder Panni verletzt und festgenommen wurde? Wo ist denn hier die Übereinstimmung?«
Nelly wusste nicht, was sie erwidern sollte, doch sie wollte ihre Theorie nicht in den Wind schießen. Sie war einfach zu gut.
»Okay, du hast recht, aber diesmal wollte Panni Sogos’ Enkel die Übereinstimmung nicht so weit treiben, bis er selber im Knast verrottet wie sein Opa, der ist schließlich kein Masochist. Der wollte a) die Pisus büßen lassen und b) einen Haufen Kohle einstreichen und glücklich und zufrieden damit leben. Eine Entschädigung für das, was damals seinen Angehörigen widerfahren ist. Nur dass ...«
»Was?«, fragte Tano ungeduldig, und Nelly verlor den zarten Faden, dem sie gerade folgte, und konnte weder ihren Gedanken noch den Satz zu Ende bringen.
DRITTER TEIL
I
Auf dem Slip war tatsächlich Blut, und es stammte von Marilena Pizzi. Auch das Herrenunterhemd war damit getränkt. Seit einer Woche wurde nach Filippo De Magistris gefahndet, doch er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Von Marilena keine Spur, was wesentlich schlimmer war. Natürlich waren viele Geiseln Wochen oder sogar Monate in der Hand ihrer Entführer gewesen, ehe sie befreit worden waren. Aber Genua war nicht die Barbagia und auch nicht die Gallura, und Filippo De Magistris war kein Flüchtiger, der sich in den Wäldern des Supramonte versteckt hatte.
Nelly lag auf Tanos großem, behaglichem Bett. Sie trug ein durchsichtiges, äußerst knappes schwarzes Negligé, das Tano ihr am Abend zuvor bei einem Candle-Light-Dinner geschenkt hatte. Leider war Nelly zurzeit nicht sonderlich empfänglich für die schönen Seiten des Lebens. Natürlich hatte sie das Risotto mit Venusmuscheln und die Lachs-Crostini gelobt und pflichtschuldig »Oh, wie hübsch! Danke!« gerufen, als sie das verführerische Wäschestück von La Perla ausgepackt und auf Tanos Drängen sofort angezogen hatte. Doch nur eine großzügige Menge Wein und Spumante hatte ihr schließlich die nötige Entspannung gebracht, und jetzt, am Morgen danach – es war glücklicherweise Sonntag – war der Effekt des Alkohols und der Küsse verflogen und hatte einem nagenden Unmut Platz gemacht. Das Handy klingelte.
»Ma? Wo zum Henker steckst du?« Maus Stimme gellte ihr im Ohr. »Ich bin heute Nacht mit dem letzten Zug gekommen und hatte nicht gemerkt, dass dein Bett leer ist. Heute Morgen hab ich Frühstück gemacht, ich komme mit dem Tablett in der Hand in dein Zimmer und kriege fast ’nen Herzinfarkt, als du nicht da bist.«
Sein Ton schwankte zwischen Sorge und Vorwurf. Verdammt, wie oft habe ich morgens vor deinem leeren Bett gestanden, mein lieber Sohn? Und bin nicht sofort ans Telefon gestürzt, um dir auf den Sack zu gehen? Nelly konnte und wollte ihrem Sohn nicht sagen, wo und mit wem sie die Nacht verbracht hatte. Mau hing an Carlo und hätte ihr dieses Spiel mit zwei Männern sehr übelgenommen. Überdies ging es ihn nichts an, sie wollte ihn aber auch nicht anlügen. Sie presste ein aufgesetztes kleines Lachen hervor.
»Das wüsstest du gern, wo deine alte Mutter ihre Nächte verbringt, was? Aber du musst dich wohl mit der Information zufriedengeben, dass es mir gutgeht und ich in rund einer Stunde zu Hause bin. Wartest du auf mich? Schön, also bis gleich.«
Sie ging ins Bad, hin- und hergerissen zwischen der Freude darüber, Mau zu sehen, und dem Bedauern, Tano schon wieder vor den Kopf zu stoßen, dem ein Tag ganz allein für sie beide vorgeschwebt hatte. Mau kommt so selten, und doch schafft er es immer wieder, mir einen Stock in die Räder zu schieben. Ob der den sechsten Sinn hat? Oder einen direkten Draht zu Carlo? Verdammter Mist! Sie hörte, wie Tano sich in der Küche zu schaffen machte, und gerade wollte sich ihr schlechtes Gewissen melden, doch ihr Trotz war schneller. Schluss jetzt. Sie war es leid, sich ständig schuldig zu fühlen: als Mutter,
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