Der Fluch vom Valle della Luna
funktioniert bei ihr nicht, hier«, sagt er und tippt sich an die Stirn, »und hier«, er zeigt zwischen seine Beine. Nelly blickt ihn fragend an. »Sie ist eine Art Nymphomanin. Im Kopf nicht helle, aber die Triebe ... Es heißt doch, dumm fickt gut.«
Magraja eine Nymphomanin? Diese zurückhaltende, schüchterne Frau?
Nelly schob die Verblüffung angesichts dieser Vertraulichkeit beiseite und versuchte sich zu erinnern, was in dem Moment sonst noch um sie herum passiert war. Was hatte sie noch bemerkt? Sie konnte den Erinnerungsfilm beliebig vor- und zurückspulen, doch nicht alle Details waren immer gleich scharf. Wer sich Alceo genähert hatte zum Beispiel.
Der Kellner namens Giulio hastet hin und her, bringt die mit Köstlichkeiten vollgepackten Holzbrettchen an den Tisch und stellt sie seinen Gästen hin. Alceo hat seines schon bekommen, er hat Hunger und isst. Nelly macht sich an das gefüllte Gemüse. Lachen, einander übertönende Stimmen. Man redet über die gedrehten Szenen und die, die am nächsten Tag anstehen. Die Zeit fliegt, schon ist man beim Kaffee. Alceo hat einen Malzkaffee mit Milch bestellt, seine Tasse unterscheidet sich von den anderen. Er trinkt sie in wenigen Schlucken aus, völlig ins Gespräch vertieft. Rings um ihren Tisch herrscht großes Gedränge, Leute stehen auf und gehen, andere kommen, an der Treppe quetscht man sich aneinander vorbei. Just in dem Augenblick murmelt Alceo etwas, das Nelly nicht versteht, kippt mit dem Stuhl nach hinten und fällt zu Boden, ehe Nelly etwas tun kann. Im losbrechenden Chaos beugt sie sich über ihn, er hat bereits das Bewusstsein verloren, kriegt kaum noch Luft. Die Anwesenden schreien, die Tische werden beiseitegerückt. Die Lebeau hat einen hysterischen Anfall. Nelly ruft einen Krankenwagen, dann brüllt sie, keiner solle sich bewegen.
Das war Freitagabend passiert. Nun war Mittwoch, Alceo Pisu war zwölf Stunden nach seinem Zusammenbruch in der Bar Berto gestorben und seine Leiche bereits obduziert worden. Nelly war dabei gewesen. Dottor Nardini, der Pathologe, hatte die Autopsie durchgeführt. Zyanid, hatte er diagnostiziert. Nicht sonderlich raffiniert, aber effektiv. Die toxikologischen Untersuchungen hatten ergeben, dass der Malzkaffee genug davon enthalten hatte, um mindestens einen weiteren Mann von der Statur des Regisseurs umzubringen. Nelly schauderte bei dem Gedanken, dass er ihr angeboten hatte, seinen Malzkaffee zu probieren, er sei sehr gut, viel besser als normaler Kaffee. Zum Glück hatte sie abgelehnt. Jetzt durchforstete sie ihre Erinnerungen nach etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, eine Bewegung, eine Geste, ein Gesichtsausdruck, irgendetwas, das in ihrem Unterbewusstsein abgespeichert war. Nichts zu machen, sie hatte alles genau vor Augen, doch das entscheidende Detail wollte sich nicht zeigen. Sie seufzte resigniert. Der Kellner, der Koch, die Crewmitglieder, alle waren genauestens unter die Lupe genommen worden. Die Barbetreiber hatten kein Motiv. Sofia, die aktuelle Geliebte? Alle hatten bestätigt, dass sie brennend eifersüchtig und außer sich vor Wut war, weil Alceo es angeblich mit beiden Whrights trieb, mit Mutter und Tochter. Doch Zyanidsalze hatte sie gewiss nicht in der Handtasche gehabt, und auch an ihr selbst waren keine Spuren gefunden worden. Nelly hatte sofort alles gesichert, die Kollegen und Beamten angerufen und die Anwesenden durchsuchen lassen, obgleich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht klar war, was dem Regisseur zugestoßen war.
Nun war also auch Alceo, der vierte Mann der Familie, von seinem Schicksal eingeholt worden. Doch diesmal war ein Unfall ausgeschlossen. Den hätte man gar nicht klassischer umbringen können. Vor meiner Nase ... Wie ist das Gift in den Malzkaffee gekommen? Es war viel los, haben alle gesagt, in der Küche wusste man nicht mehr, wo oben und unten war. Die Holzbretter kamen und gingen im Walzertakt, die fertigen Kaffees standen erst noch ein paar Minuten unten auf dem Tresen, ehe sie serviert wurden. Irgendjemand ist ins Lokal gekommen, hat sich das Durcheinander zunutze gemacht und das Gift in die Tasse getan, die sich von den anderen unterschied. Nicht einfach, aber bei dem Chaos auch nicht unmöglich. Aber wer, und wieso? Der Mörder musste die Gewohnheiten des Regisseurs gut kennen. Ob jemand von der Crew den Zaubertrick vollbracht hat? Die Frauen sind alle nacheinander aufs Klo gegangen, auch ein paar Männer, am Tisch herrschte Kommen und Gehen. Susan
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