Der Fluch vom Valle della Luna
ist gekommen und hat Alceo etwas ins Ohr geflüstert, hat sich auf seinen Schoß gesetzt ... Beim Zaubern geht es vor allem darum, das Publikum abzulenken. Während alle auf das schauen, was der Zauberer uns vor die Nase hält, passiert der Trick woanders und ohne dass es jemand mitkriegt. Es ist schon vier, ich muss los. Um halb fünf bin ich mit Marilena Pizzi verabredet.
»Du bist phantastisch. Doch diesmal ist ein Unfall ausgeschlossen. Hätte man das nicht anders machen können? Wieso die Eile?« »Lass mich nur machen. Wie gesagt, ich weiß, was zu tun ist. Die haben nichts in der Hand, nichts. Zum Totlachen, wie die Bullen im Dunklen tappen, die Rote vor allem. Auf uns kommt die nie.«
Marilena Pizzi, geborene Pisu, wohnt in der Via Corsica in Carignano. Nelly verlässt das Präsidium und geht zu Fuß. Es ist nicht kalt, doch der Himmel ist grau, von der böigen Tramontana bewegt. Das Meer sieht aus wie dreckiges Spülwasser, der Wind peitscht die Gischt darüber hin. Nelly geht den Corso Aurelio Saffi bis zu der erhöht liegenden Wendeschleife hinauf, an der die Via Corsica beginnt, eine der prächtigsten Straßen ganz Genuas. Das Viertel muss das teuerste der ganzen Stadt sein, direkt am Meer, zentral, auf einem Hügel. Eine beneidenswerte Lage. Sie geht die Allee entlang. Der Palazzo der Pizzi ist einer der ersten auf der linken Seite, ein imposantes Gebäude, das über dem Hafen aufragt, linker Hand bis zum Corso Italia und rechter Hand bis zur Riviera di Ponente blickt. Wenn es die Hochstraße nicht gäbe, die die Stadt durchschneidet und sie vom Meer abtrennt, dessen gedämpftes, wie entfernter Donner klingendes Rauschen bis hierher zu hören ist, wäre das Panorama hinreißend.
Auf dem Klingelschild steht Pisu–Pizzi. Nelly drückt auf den Knopf und sagt ihren Namen. Eine männliche Stimme bittet sie in den siebenten Stock, die Tür geht auf. Eine prächtige Eingangshalle, der Aufzug fährt ganz nach oben. Überall Marmor. Es gibt sogar einen Dienstboteneingang. Jemand beobachtet sie durch den Spion. Die Tür geht auf und ein dunkelhäutiger Diener in Livree erscheint. Die Diele ist geräumig und perfekt durchgestylt. Alles weiß. Möbel, Rahmen, Canapé. Spiegel lassen den ohnehin schon großen Raum noch größer erscheinen. Der Diener führt sie durch eine Glastür in den Salon, den ein Rundbogen vom riesigen Wohnzimmer trennt. Auch hier blendendes, reinstes Weiß, selbst der Teppich. Wie hält man bloß so einen Teppich sauber? Und die Wände? Hier wohnen wohl Gespenster und keine menschlichen Wesen. Weißlackierte Möbel mit polierten Metallintarsien. Wie in einer Klinik. Vielleicht mag die Hausherrin es genauso aseptisch wie an ihrem Arbeitsplatz. Oder sie hat das zwanghafte Bedürfnis, sich von etwas reinzuwaschen. Nur die Bilder an den Wänden, alles durchweg moderne oder zeitgenössische Werke, darunter einige Amerikaner, Warhol, Oldenburg, Haring, sind schreiend farbig, vor allem gelb, orange und blutrot.
Aus dem hintersten Winkel des Raumes ertönen Schritte. Dort, halb versteckt hinter einem Paravent, lässt sich eine Wendeltreppe erahnen. Marilena steigt die Stufen herab, klein, auf flachen Schuhen, was sie noch runder erscheinen lässt, und in einem rotsamtenen Hosenanzug. Mit ausgestreckten Armen kommt sie Nelly entgegen, die typische einstudierte, theatralische Geste. Das Gesicht mit dem energischen Unterkiefer ist stark geschminkt, doch die dicke Make-up-Schicht kann die dunklen Schatten um die Augen nicht ganz verdecken. Ihre Augen sind schwarz wie Sandras, aber nicht so sanft und heiter, sondern düster, abgründig und völlig unberührt von dem Lächeln, das sich auf den vollen, aufgespritzten Lippen ausbreitet. Sie greift nach Nellys Händen und zieht sie an sich.
»Liebe Nelly, wie bin ich froh, dass Sie hier sind. Ich weiß schon, Ihr Besuch hat ...«, sie beißt sich auf die Unterlippe und sucht nach den richtigen Worten, »berufliche Gründe. Sie wollen herausfinden, wer Alceo ermordet hat.« Sie kann kaum weitersprechen, doch sie ist nicht der Typ, der sich leicht unterkriegen lässt. »Trotzdem ist es tröstlich, Sie zu sehen. Ich habe einen sehr wichtigen Termin abgesagt, um heute hier sein zu können. Kommen Sie, kommen Sie, folgen Sie mir in mein kleines Reich.«
Ohne sich darum zu kümmern, dass die von der überschwänglichen Begrüßung völlig überrumpelte Nelly noch kein einziges Wort hervorgebracht hat, zieht sie sie in Richtung Wendeltreppe. Sie kommen in
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