Der Fluch vom Valle della Luna
sie sagt, ist eine Sache, aber ihre Augen sprechen eine andere Sprache. Es sieht fast so aus, als müsste Magraja nach ihrer Pfeife tanzen, anstatt umgekehrt.«
Das Aschenputtel aus dem Hause Pisu scheint es unserem Gerolamo ja angetan zu haben.
»Sag mal, Gerolamo, für was für eine Frau hältst du Magraja Pisu?«
Die Antwort lässt nicht auf sich warten, offenbar hat er sich bereits seine Gedanken dazu gemacht.
»Ich würde sagen, die ist geistig auf dem Stand eines kleinen Mädchens stehengeblieben. Aber das Potential ist da. Bei den Augen ...«
»Was für eine fachmännische Einschätzung.«
»Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt, Dottoressa. Aber ich kann natürlich auch falschliegen.«
Bei diesen Dingen liegst du selten falsch, Gerolamo, eigentlich nie. Ich frage mich nur: Wieso ist Magraja so zurückgeblieben? Oder ist sie es womöglich gar nicht, und wir lassen uns von ihrer unschuldigen Art täuschen? Doch statt ihre Gedanken auszusprechen, nickt Nelly nur überzeugt.
»Gut, Gerolamo. Ich gehe jetzt zur Staatsanwältin Pasqui, die sich mit Alceo Pisus Vergiftung befasst. Sei so nett und fahr den Wagen zurück ins Präsidium.« Sie hält ihm die Schlüssel hin.
»Okay, bis morgen dann, Dottoressa.«
Sie geben sich die Hand, und schon ist Gerolamo weg.
Antonella Pasqui war nicht besonders groß und eher zierlich, doch irgendetwas an ihr flößte einem Respekt ein. Vielleicht die Art, wie sie das Kinn reckte und ihr Gegenüber aus schwarzen Augen eindringlich ansah, oder ihre überraschend tiefe, gewichtige, fast männliche Stimme, auf die man bei dieser kleinen Fünfzigjährigen nicht gefasst war.
»Und, Dottoressa Rosso, gibt es seit unserem letzten Treffen etwas Neues?«
Nelly entfuhr ein resignierter Seufzer.
»Bisher nicht. Wir sind dabei, sämtliche Anwesende des Abends unter die Lupe zu nehmen, die Aussagen liegen alle in der Akte, außerdem habe ich mich mit der älteren Schwester Marilena Pizzi unerhalten.« Antonella Pasqui nickte. »Jetzt komme ich gerade von einem Besuch bei der jüngeren Schwester, Maria Grazia, von allen Magraja genannt. Wenn ich ehrlich sein soll, ist die einzige Gewissheit, die wir bisher haben, dass Alceo Pisu tot ist und jemand ihn vergiftet hat. Zwar mangelt es nicht an eifersüchtigen Frauen oder Männern, die er mies behandelt und gegen sich aufgebracht hat, auch hatte er offenbar eine Vorliebe für blutjunge Mädchen, halbe Kinder, aber etwas Konkretes gibt es nicht. Nichts, worauf sich eine Anklage stützen ließe.«
»Hmhm ... Und diese Sache mit den anonymen Briefen, die auch beim Tod des Bruders zur Sprache kamen? Irgendein Verdacht?«
»Auch das ist bislang eine Sackgasse. Vielmehr sind die noch lebenden Familienmitglieder fest davon überzeugt, dass die Briefe nichts mit Alceos Tod zu tun haben. Die machen alle gerade komplett dicht, wenn Sie mich fragen. Ich werde den Eindruck einfach nicht los, dass die beiden Pisu-Schwestern etwas wissen oder ahnen. Dass hinter dieser Sache irgendein Familiengeheimnis steckt. Aber die lassen nichts raus.«
»Wenn dem so wäre, müssten die restlichen Familienmitglieder die Hosen gestrichen voll haben.«
Antonella Pasqui stützte den rechten Ellenbogen auf den Schreibtisch und legte das Kinn in die Hand.
»Ich hasse diese Fälle, in denen sich die Leute eher umbringen lassen würden, als Tacheles zu reden. Aber wir wissen ja nicht einmal, ob das so ist, richtig?«
»Nein, gar nicht. Es könnte sein, dass die Briefe nichts damit zu tun haben. Das macht mich ja so kirre. Möglicherweise ist alles viel einfacher, als es scheint, und wir sehen es nicht.«
»Jedenfalls scheinen die Medien an diesem exotischen Fall allmählich Geschmack zu finden. Erst der soeben begonnene Prozess, und jetzt auch noch der Tod des Regisseurs, ein gefundenes Fressen. Die ermitteln auf eigene Faust und in alle Richtungen. Bisher mit denselben Ergebnissen. Gott sei Dank wissen sie nichts von den Briefen, die würden sich sonst wer weiß was zurechtspinnen.«
Ein paar Sekunden lang sahen sich die beiden Frauen schweigend über den Schreibtisch hinweg an.
»Der Anwalt der Produktionsfirma hat sich bei uns gemeldet«, sagte die Staatsanwältin schließlich. »Die verlieren jeden Tag einen Haufen Geld und wollen die Dreharbeiten so bald wie möglich fortsetzen. Morgen kommt ein englischer Regisseur nach Genua und übernimmt Alceo Pisus Aufgabe. Uns soll das recht sein, dann bleiben alle Crewmitglieder noch rund einen Monat hier
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