Der Fluch vom Valle della Luna
erschreckt habe, ich wollte nur fragen, ob Sie etwas trinken möchten.« Sie warf Magraja einen liebevollen, leicht herablassenden Blick zu. »Magraja vergisst manchmal das eine oder andere. Ich sollte das nicht sagen, sie ist ein wahrer Engel. Wie sie sich um die Mutter kümmert ... Wenn ich eine Tochter hätte, müsste sie sein wie sie.«
Nelly musterte die Frau. Sie steckte in einem weißen Kittel, trug weiße Krankenschwestersandalen und behandelte Magraja, obwohl sie ihr völlig ergeben schien, wie ein kleines Mädchen.
»Danke, wir haben gerade einen Kaffee getrunken. Ach, übrigens, Celeste ... und wie weiter?«
»Celeste Mazzoleni. Ich kümmere mich um Signora Lorenza, wenn Magraja mal nicht kann. Ich bin eingestellt worden, als die Signora krank geworden ist. Ach, Magraja, ich hab dir doch schon gesagt, dass du dich vor deiner Mutter nicht in Trauer zeigen sollst, sonst regt sie sich auf. Zieh dir immer schön den Kittel über, wenn du zu ihr gehst. Das Schwarz erschreckt sie.«
Magraja verzog gereizt das Gesicht, hatte sich aber sogleich wieder im Griff.
»Also begreift Signora Lorenza, was passiert?«, schaltete Nelly sich ein. »Sagt sie hin und wieder etwas? Könnte man ihr ein paar Fragen stellen? Natürlich sehr behutsam.«
»Das ist schwer zu sagen. Manches versteht sie, es hängt von der Tagesform ab. Aber bei einem schwarzen Kleid denkt jeder sofort an den Tod. Im Übrigen ist sie seit so langer Zeit ans Bett gefesselt, was soll sie Ihnen schon erzählen ...«
»Was für ein Mensch war Ihre Mutter vor ihrer Krankheit, Magraja?«
Magraja schien ganz woanders zu sein. Mühsam riss sie sich aus ihren Gedanken.
»Was? Meine Mama ... Wie war die Mama? Streng, aber gerecht. Ein bisschen trübsinnig. Anselmo war ihr sehr ähnlich. Manchmal war sie aber auch fröhlich und ausgelassen und brachte uns alle zum Lachen.«
Wieder kehrte sich ihr Blick nach innen. Nelly machte Gerolamo ein Zeichen. Es war Zeit zu verschwinden. Celeste begleitete sie zur Tür. Magraja schien ihr Gehen kaum zu bemerken, sie murmelte einen Abschied und stierte abwesend vor sich hin.
»Geht es Magraja gut? Sie wirkt so verloren.«
Celeste und die beiden Polizisten standen an der Wohnungstür.
»Sie leidet sehr unter dem Tod der Brüder und wegen des schrecklichen Verbrechens, dessen Giancarlo bezichtigt wird. Das arme Ding, sie ist ein äußerst sensibles Mädchen. Eine zarte Blume.« Celeste seufzte, und Nelly nutzte die Gunst des Augenblicks.
»Haben Sie in diesem Haus jemals von Drohungen gehört, vielleicht durch Fremde? Gab es Anrufe oder Ähnliches?«
Sofort verschloss sich ihre Miene.
»Ich habe nichts gehört. Die Pisus sind anständige Leute, wissen Sie? Sarden bis in die Haarspitzen. Vielleicht ein bisschen zu direkt, aber gut, ehrlich und aufrichtig.«
Nelly versucht, die unterschiedlichen Wirklichkeiten dieser Familie zu einem kohärenten Bild zusammenzufügen. Das von Beschuldigungen und Missgunst, wenn nicht gar Hass durchsetzte Psychodrama des ersten Besuchs und das freundliche Idyll einer scheinbar normalen Familie aus der träumerischen Schilderung Magrajas. Omnia munda mundis 1 ... Sie verabschieden sich von Celeste mit der Bitte, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen, sollte ihr etwas Ungewöhnliches auffallen, und machen sich auf den Weg. Gerolamo schweigt wie üblich und hat einen schwer zu entziffernden Gesichtsausdruck. Als sie die Via Balbi wieder Richtung Bahnhof Principe hinunterschlendern, kann Nelly sich nicht mehr beherrschen.
»Und, was meinst du?«
Gerolamo sieht sie mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.
Nelly ahnt, weshalb.
»Sie scheint ehrlich zu sein. Die arme Frau. Was für ein Leben in diesem Mausoleum, dabei ist sie gerade mal vierzig. Was für eine Vergeudung ...«
Nelly nickt.
»Selbst in diesem Zustand ist Maria Grazia Pisu eine echte Schönheit. Und so sanftmütig, ich garantiere dir, ihre Brüder waren alles andere als Lämmchen, und ihre Schwester kann bestimmt eine richtige Hexe sein. Da ist eine riesige Kluft zwischen dem, was ich über die Pisus weiß, und dem, was die jüngste Schwester erzählt. Ich krieg das einfach nicht zusammen.« Nelly macht eine Pause.»Vielleicht redet sie sich das alles ein, um nicht einzugehen. Irgendwie ist sie mir auch ein bisschen ... wie soll ich sagen ...«
»... verblödet vorgekommen? Wer wäre das nicht, bei so einem Leben, eingesperrt in diese Wohnung? Die Ärmste. Diese Celeste hingegen ist mir nicht geheuer. Was
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