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Der Fluch vom Valle della Luna

Der Fluch vom Valle della Luna

Titel: Der Fluch vom Valle della Luna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Cerrato
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einem interessierten Blick bedachte. Nelly klingelte. Nichts passierte. Sie klingelte abermals. Endlich sprang das Tor einen Spaltbreit auf. Scheinbar mühelos stieß Gerolamo es auf, ließ sie eintreten und folgte ihr nach oben.
    Die Wohnungstür war nur angelehnt, doch es war niemand da, um sie zu begrüßen. In der schummrigen Eingangshalle hatte Nelly das instinktive Gefühl, es verstecke sich jemand in der Dunkelheit. Ein Schatten, der sich bei ihrem Eintreten aufgelöst hatte, hinter den Stores oder in einer der vielen Türen verschwunden war. Gerolamo hingegen schien nichts Besonderes aufzufallen, oder er ließ sich zumindest nichts anmerken. Mach dich locker, Nelly, du bist nicht in Bagdad, sondern in der Wohnung einer bettlägerigen Greisin und einer alten Jungfer. Heutzutage sagte man dazu wohl etwas freundlicher Single . Eine nicht mehr ganz junge Frau, die nicht aus freien Stücken allein war oder einfach nur Pech gehabt hatte: Freund gestorben, Liebhaber verheiratet, alte, pflegebedürftige Eltern. Ferne Welten, allerdings nicht völlig ausgestorben, sondern lediglich versteckt in den Abgründen einer unter der schadhaften Oberfläche künstlicher Modernität zutiefst rückgewandten Gesellschaft.
    »Guten Tag, Dottoressa Rosso, kommen Sie, folgen Sie mir.« Nelly fuhr erschrocken zusammen. Maria Grazia Pisu war lautlos in der Tür zu einem der zahlreichen Korridore aufgetaucht. Sie ging voran, indem sie ein trübes Licht anschaltete, das die Wohnung nur teilweise aus dem Halbdunkel riss. Ihre große, gebeugte Silhouette bewegte sich behende vor ihnen her. Sie trug strenge Trauer: Bluse, Pullover, Rock auf halber Wade, alles schwarz. Ihr Aussehen hatte etwas seltsam Überkommenes. Sie ist die Einzige, die sich an diese Tradition hält, Marilena und den anderen Frauen der Familie scheint sie dagegen völlig schnuppe zu sein.
    Sie wurden in ein düsteres Arbeitszimmer geführt. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt. In einer Ecke ein Zweisitzer und zwei braune, von der Zeit und den zahllosen Hinterteilen, die auf ihnen gesessen hatten, zerschlissene Ledersessel. Maria Grazia ging zur Fenstertür, um die Vorhänge zur Seite zu ziehen. Kaltes, graues Licht flutete herein und mischte sich mit dem gelblichen Schein des Messinglüsters. Die Blässe auf Magrajas Gesicht bekam etwas Totenähnliches. Ihre trotz all der Trostlosigkeit seltsam lebendigen, schönen Augen funkelten wie Smaragde, ihr Haar war zusammengebunden, ihre Lippen so fest aufeinandergepresst, dass sie fast nicht zu sehen waren. Nelly hatte sie weich und voll in Erinnerung. Sie könnte eine echte Schönheit sein, vielmehr als Marilena oder Sandra, so klein und stämmig, wie die sind. Magraja ist viel größer, vielleicht noch größer als ihre Brüder. Und diese hohen Wangenknochen, die langen, schlanken Beine. Schade, dass sie immer rumläuft wie eine Vogelscheuche.
    »Darf ich Ihnen meinen Assistenten Gerolamo Privitera vorstellen, Signorina Pisu?«
    »Nennen Sie mich doch Magraja, wie alle.«
    Nelly nickte leicht verblüfft. »Wir sind hier, weil wir herausfinden möchten, was es mit den jüngsten Vorfällen in Ihrer Familie auf sich hat.«
    Ehrlich erstaunt zog Magraja die Brauen hoch.
    »Mit den Vorfällen ... Ich verstehe nicht, Dottoressa Rosso. Sie beziehen sich auf den Mord an Alceo, richtig?«
    Sie sprach leise, aber klar und deutlich.
    »Darauf natürlich, aber auch auf die anderen Unglücksfälle, die Ihren Vater und Ihren Bruder Anselmo das Leben gekostet haben, sowie auf die Tat Ihres Neffen Giancarlo.«
    Magraja nickte langsam wie ein Kind, das etwas begriffen hat.
    »Ach so, in letzter Zeit haben uns wirklich einige Schicksalsschläge getroffen. Aber was haben die mit dem Mord an Alceo zu tun? In den Zeitungen heißt es, Sie hätten neben ihm gesessen.«
    Krumm hockte sie da, die Hände um die Knie gefaltet. Ihre wunderschönen hellen Augen wanderten von Nelly zu Gerolamo, der sie wie gebannt anstarrte. Nelly fragte sich, ob sie nur so beschränkt tat oder ob sie es wirklich war.
    »Und Sie haben keinen Moment daran gedacht, dass es zwischen diesen Schicksalsschlägen einen auf Hass gegründeten Zusammenhang geben könnte – womit es, genau genommen, keine reinen Schicksalsschläge wären? Erinnern Sie sich an die anonymen Briefe, die Sie alle erhalten haben?«
    Magraja runzelte die Stirn, als müsste sie ihr Gehirn nach der passenden Information durchwühlen. Ihr Gesicht hellte sich auf.
    »Ach, die! Nein, daran habe ich

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