Der Fluch vom Valle della Luna
Skorpion unbeschadet ans andere Ufer gelangen wollte, würde er sie bestimmt verschonen. Auf der Hälfte des Weges stach der Skorpion sie aber doch, und während sie sterbend in den Fluten versank, fragte sie ihren mörderischen Passagier eher überrascht als verängstigt: »Jetzt sterben wir alle beide. Wieso hast du das getan?« Der antwortete gelassen: »Das ist meine Natur.«
»Hast du verstanden, liebe Nelly?«
»Mamma mia, der wird doch wohl nicht mit meinem Kollegen Lojacono verwandt sein?«
Am Ende der Via XXV Aprile ließ Nelly Sandra aussteigen und bog in die Via Roma ab, um in der Tiefgarage an der Piazza Piccapietra zu parken. Zu Fuß schlug sie den Weg Richtung Altstadt ein, nahm die Salita Santa Caterina, dann Via Luccoli, überquerte Piazza Soziglia und Campetto, bog in die Via San Matteo ein und schließlich nach rechts auf die Piazzetta Tavarone. Hier befand sich die Detektei. Auf dem Schild stand einfach nur Ermittlungsagentur. Sie klingelte, die Eingangstür sprang auf, und Nelly stieg die Treppe zum Zwischengeschoss hinauf: ein typisches Genueser Kontor in einem alten, noch unrenovierten Palazzo. Eine klapprige alte Glastür mit gelblichen Scheiben trennte es vom Treppenabsatz. Kaum stand Nelly davor, öffnete sie sich wie von Zauberhand. Dahinter ein winziger Eingang mit zwei alten Bänken an den Wänden und alten Genueser Stadtansichten. Ein Tischchen mit Zeitschriften.
»Herein«, ertönte eine sonore Männerstimme. Stirnrunzelnd ging Nelly auf die geschlossene Tür zu. Sie drückte auf die Klinke, trat ein und blieb wie vom Donner gerührt auf der Schwelle stehen.
»Basile! Ich glaub’s nicht! Brigadiere Basile!«
Hinter einem nagelneuen Schreibtisch saß auf einem gepolsterten Drehstuhl kein anderer als Ex-Brigadiere Basile. Er war ein alter Bekannter, ein Stammkunde aus Beppes Weinlokal bei Nelly um die Ecke, in dem sie morgens regelmäßig ihren Cappuccino trank. Der erst seit kurzem pensionierte Basile hatte eine professionelle Schwäche für die besonders eigenwilligen Kriminalfälle, die sich in Genua und Umgebung zutrugen. Er war Nelly bei der Lösung eines früheren Falles von großer Hilfe gewesen.
»Was machen Sie denn hier, Brigadiere?«
»Das steht doch draußen dran, liebe Dottoressa. Ich ermittle.«
Basiles Gesicht verzog sich zu einem seligen Lächeln.
»Kommen Sie, treten Sie ein, setzen Sie sich.« Er deutete auf einen der kleinen roten Polstersessel vor dem Schreibtisch. Nelly nahm Platz und blickte sich neugierig um. Das Büro war nicht groß, aber immerhin saniert: weiße Decken und Wände, Birkenlaminat, PVC-Fenster. Moderne Regale und Aktenschränke aus Metall an den Wänden. Eine Schiebetür aus mattiertem Glas führte in das zweite Zimmer, in dem ein weiterer Schreibtisch und ein hochmoderner Computer standen.
»Dann sind Sie die Zweigstelle der Mailänder Agentur von Salvatore Mursia.«
Basile versuchte vergeblich, eine bescheidene Miene aufzusetzen.
»Salvatore und ich haben jahrelang zusammen gearbeitet. Wir kennen einander seit der Ausbildung. Seit wir zusammen in Sardinien waren ...«
»Sardinien?«
Nelly spitzte die Ohren.
»Ganz genau. Das waren harte Zeiten. Die Jahre der Entführungen und Geiselfahndungen. Da haben Salvatore und ich unser Handwerk gelernt. Dann sind wir befördert und in verschiedene Städte versetzt worden. Ich bin schließlich in Genua gelandet und er in Como. Als er pensioniert wurde, hat er seine Agentur in Mailand gegründet. Das war vor vier Jahren, und weil er auf Zack ist, war er damit gleich ziemlich erfolgreich. Vor einem Jahr hat er mich angerufen und mir angeboten, für ihn zu arbeiten, ich konnt’s nicht glauben. Also hat er diese Abstellkammer an Land gezogen. Bei den Ermittlungen außerhalb Genuas ziehe ich Salvatore natürlich hinzu. Ich fühle mich wie ein neuer Mensch«, schloss er mit einem tiefen Seufzer.
»Das sehe ich«, entgegnete Nelly noch immer überrascht. »Und haben Sie Mitarbeiter?«, fragte sie und nickte in Richtung Nebenzimmer.
»Ja, einen jungen Jurastudenten, Filippo De Magistris. Vor seiner Einschreibung an der Uni hat er bei den Carabinieri seinen Militärdienst gemacht. Der ist ziemlich begabt, wäre ein super Polizist. Ich ziehe ihn mir ran, vielleicht entscheidet er sich doch für die Carabinieri oder die Polizei.«
Nelly beschloss, mit offenen Karten zu spielen.
»Die Familie Ihres Klienten Giancarlo Pisu hat es in letzter Zeit ziemlich dick abgekriegt, Basile.«
Sie sah ihn
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