Der Fluch vom Valle della Luna
und wollte gerade den Computer ausschalten, als das Telefon klingelte.
»Hallo? Oh, Mau. Ciao, mein Schatz, wie geht’s? Ist was? Nein, ich wollte damit nicht sagen, dass du mich nur anrufst, wenn du was brauchst, Gott bewahre. Also, alles in Ordnung. Hier? Na ja, du warst am Wochenende ja da und hast mitgekriegt, was deiner Mutter passiert ist, die sich ein bisschen im Genueser Nachtleben amüsieren wollte. Nein, ich würde nicht sagen, dass die Ermittlungen vorangehen. Na, denn. Ciao, mein Schatz, ruf mich wieder an.«
Sie starrte auf das Telefon, aus dem Maus Stimme so nah und fern zugleich geklungen hatte. Am Telefon hatte er genau die Stimme seines Vaters. Roberto, du wärst stolz auf unseren Sohn. Er ist richtig gut gelungen. Ob du ein guter Vater gewesen wärst?
Sie fühlte sich plötzlich sehr müde. Maus Vater war ums Leben gekommen, als der Junge noch ganz klein gewesen war. Jahrelang war sie innerlich wie erstarrt vor Schmerz gewesen. Dann hatte das Leben sich nach und nach wieder Bahn gebrochen. Jetzt bereitete der Gedanke an Roberto ihr Kummer – weil sie nicht mehr so entsetzlich litt wie in den ersten Jahren. Sie hatte das Gefühl, ihn zu betrügen, ihn loszulassen. Aber vielleicht willst du endlich losgelassen werden ... Der Eisblock in ihrer Brust schmolz zu stummen Tränen. Nelly setzte Wasser für einen dreifachen Kamillentee auf und ging ins Bad, um sich bettfertig zu machen. Sie schlüpfte ins Bett unter die Decke, trank den Kamillentee in kleinen Schlucken, löschte das Licht und fiel sofort in den erlösenden Schlaf.
XIII
Der Winter wollte nicht gehen. Es war bereits März, doch das verheißungsvolle vorfrühlingshafte Prickeln in der Luft, das Nelly jedes Mal mit Energie und Glück erfüllte, stellte sich nicht ein. Im Gegenteil. Es war grau und kühl, und der Wetterbericht sagte ein Tief nach dem anderen voraus. Nur die Skifahrer freuten sich, weil in den Bergen viel Schnee lag. Nelly hatte nie Zeit und Geld, um die Wochenenden im Gebirge zu verbringen, Mau war mal mit der Schule hingefahren. Mit Monika aber war er oft in Limone oder Frabosa gewesen; sie war eine gute Skiläuferin – Noblesse oblige. Monika und ihre traurigen grünen Augen beim Abschied ... »Ciao, Nelly, ich gehe ...« Die Lebensphasen schließen sich hinter uns wie Türen, eine nach der anderen, treiben uns voran, drängen uns aus unserer Vergangenheit und einer ungewissen Zukunft entgegen. Yippee! In derlei trübe Gedanken versunken hatte Nelly sich angezogen und das Haus verlassen.
Jetzt stand sie vor Beppes Weinhandlung. Durch die beschlagenen Fenster konnte man Leute an den Tischchen sitzen sehen. Sofort wurde Nelly schwach und fühlte sich von Beppes Spezialcappuccino plus einer Scheibe Focaccia unwiderstehlich angezogen. Sie stieß die Tür auf und betrat die vertraute kleine Welt.
Beppe stand hinter dem Tresen und nickte ihr zu.
»Das Übliche, Dottoressa?«
»Ja, danke, Beppe.«
Ein Tischchen am Fenster war frei. Nelly setzte sich. Als sie aufsah, begegnete sie Giannis Blick. Früher hatte sich der jeden Morgen mit Basile um den druckfrischen »Secolo« gezankt. Jetzt saß er an einem Tischchen im Halbdunkel und schien an der Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm lag, nicht sonderlich interessiert zu sein.
»Guten Tag, Gianni. Wo ist denn der Brigadiere Basile geblieben? Den habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
Gianni schluckte den Köder samt Angel.
»Tja, meine liebe Dottoressa, Basile bekommt man nicht mehr zu Gesicht. Der fahndet und ermittelt. Muss die Welt retten. Frühmorgens schneit er herein, stürzt einen Kaffee runter und rennt zur Arbeit. Dabei hat er’s kaum abwarten können, in Rente zu gehen. Das soll einer kapieren.«
Er schüttelte missbilligend den Kopf und sah sie Verständnis heischend an.
»Der fahndet und ermittelt? Was hat das denn zu bedeuten?«
Nelly machte große Augen. Wenigstens konnte der arme Gianni sich ein bisschen Luft machen und über den Freund und Gegner beim Zeitunglesen und Kartenspielen herziehen.
»Irgendeiner aus Mailand hat hier eine Niederlassung seiner Detektei an der Piazzetta Tavarone eröffnet – ein echtes Loch, wenn Sie mich fragen – und Basile als Trüffelschwein eingestellt. So vertreibt er sich die Zeit, derweil ich hier Schimmel ansetze.«
Er seufzte betrübt.
»Basile ist eben einfach zu rege, um den ganzen Tag nichts zu tun. Genau wie Sie, Gianni. Wieso suchen Sie sich nicht auch eine Beschäftigung?«
Beppe kam mit
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