Der Fluch vom Valle della Luna
abwartend an. Basile nickte. »Ja, diese Pisus sind wirklich arm dran. Vom Pech verfolgt, würde ich sagen.«
»Hmhm.«
»Ich an deren Stelle würde versuchen, den Fluch bannen zu lassen.«
Basile trommelte mit der rechten Hand auf den Schreibtisch.
»Der Pisu-Junge erinnert sich nicht mehr genau, was passiert ist«, sagte er schließlich, »und vielleicht hat er wirklich seine Exfreundin umgebracht. Trotzdem passt da was nicht zusammen. Der Pförtner war vor der Tat mehrere Stunden lang nicht in seiner Loge, ihr werdet ihn bestimmt vernommen haben. Theoretisch könnte jemand hinaufgegangen sein und die arme Gioia Innocenti überrascht haben. Man hat sie bedroht und gezwungen, Giancarlo anzurufen.«
Als Nelly nichts sagte, fuhr Basile fort.
»Dann bringt dieser oder diese Unbekannte das Mädchen um und geht, niemand sieht ihn oder sie. Der junge Pisu rast nach dem verstörten Anruf seiner Ex zu ihr und findet sie in einer Blutlache. Er versucht ihr zu helfen, beschmutzt sich mit Blut, ruft panisch die Schwester an und schreit, und zwar so markerschütternd, dass ihn der ganze Palazzo hört, einschließlich des Pförtners, der wieder an seinem Platz sitzt und ihn hat hinaufgehen sehen. Der Mann ruft die Polizei, die Pisu-Schwester kommt und kurz danach die Beamten. Und schon hat man den Mörder auf frischer Tat ertappt und kann ihn einsacken. Eine perfekte Choreographie.«
Nelly rieb sich nachdenklich das Kinn. Daran hatte sie auch schon gedacht, aber es gab zu viele Aber.
»Okay, Basile. Theoretisch klingt das plausibel. Doch praktisch gibt es nicht die mindeste Spur, ganz abgesehen von dem Motiv. Wir haben Gioia Innocenti genauestens unter die Lupe genommen, mit dem Ergebnis, dass sie keine Feinde hat. Ein Mädchen wie aus einer anderen Zeit, könnte man sagen. Ehrgeizig, fleißig, verantwortungsvoll ...«
Basile musterte sie mit einem leisen Lächeln.
»Ein ganz braves Mädchen, nur dass sie eine Affäre mit ihrem superverheirateten Nachbarn hatte, Vater zweier kleiner Kinder, um im Zeitungsjargon zu reden.«
Nelly runzelte die Stirn.
»Kennen Sie auch den Namen dieses angeblichen Geliebten?«
Basiles Lächeln wurde noch breiter.
»Schauen Sie, Dottoressa, ich bin der Sache auf den Grund gegangen. Zur Tatzeit waren der Typ und seine Frau nicht zu Hause, sie waren bei Freunden, und die Kinder waren mit dem Babysitter daheim. Ich will damit nur zeigen – ohne Sie damit belehren zu wollen, das läge mir völlig fern –, dass jedes Leben seine blinden Flecke hat. Wir sind alle Heilige, bis uns jemand das Gegenteil beweist. Es sei denn, man bezahlt jemanden dafür, die Rivalin umzubringen, und geht derweil mit seinem Mann essen. Ein felsenfestes Alibi. Und wir stehen da wie die Blöden. Es ist nicht mehr so wie damals, als man Verbrechen in null Komma nix löste. Als es noch keine DNA und keine amerikanischen Filme gab, die jedem Möchtegern-Mörder zeigten, wie man keine Spuren hinterlässt. Und auch noch kein Internet, aus dem man sich hübsche Rezepte für Bomben und Gift herunterladen kann, inklusive Gebrauchsanweisung und Bezugsquellen.«
Nelly kniff nachdenklich die Lippen zusammen.
»Gift und Bomben zum Selberbasteln. Verdammt! Okay, Basile, worauf wollen Sie hinaus?«
Er lächelte schüchtern. Die Dottoressa sollte ihn bloß nicht für respektlos halten.
»Ich wollte mir nur erlauben, Ihnen etwas vorzuschlagen ... einen Deal, wie die Amerikaner sagen. Oder besser, eine informelle Zusammenarbeit auf Vertrauensbasis. Ich sage Ihnen, was ich herausbekomme, und Sie helfen mir ein bisschen, ohne das preiszugeben, was Sie nicht preisgeben können. Im Interesse der Wahrheit. Diese Sache stinkt, Dottoressa.«
Nelly hob scherzhaft drohend den Finger.
»Basile, Basile ... Sie sollen für ihren Klienten arbeiten, wo soll das denn sonst hinführen?«
»Mein Klient will nur die Wahrheit wissen, der ist sowieso schon geliefert. Und? Was meinen Sie?«
Auf Basiles breitem Gesicht glomm hoffnungsvolle Erwartung.
»Soweit es mir möglich ist, in Ordnung. Hören Sie, Basile, Sie haben vorhin erwähnt, Sie seien in den sechziger, siebziger Jahren in Sardinien gewesen, stimmt’s?«
»So ist es. Ein herrliches Land. Rau. Damals noch ganz archaisch. Voller Widersprüche. Seitdem hat sich viel verändert.«
»Wo waren Sie genau?«
»Zuerst in einem Dorf nicht weit von Palau, dann in einem etwas größeren Ort am Rande der Barbagia. Und schließlich in Cagliari. Ab und zu fahre ich noch mal in das Dörfchen
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