Der Fluch vom Valle della Luna
das scheint der dicke Kommissar, der sie kalt mustert, nur amüsant zu finden.
»Wissen Sie, Dottoressa, wir haben hier sehr viel zu tun. Gewiss nicht in dem Maße wie im Präsidium einer Großstadt wie Genua, aber wir müssen auch unsere Arbeit machen. Die Zeit reicht gerade mal ...« Nelly unterbricht ihn barsch.
»Zehn Minuten Ihrer wertvollen Zeit, und wir sind weg. In Ordnung?«
Musso hat sein Pulver verschossen. Er dreht sich abrupt um, und die drei folgen ihm grimmig. Er führt sie in ein großes, sonniges Zimmer am Ende des Flurs, zwängt sich hinter seinen mit Papierstapeln überhäuften Schreibtisch, verschränkt die Arme und sieht sie schweigend an. Als die drei Anstalten machen, sich ebenfalls zu setzen, hebt er die Hand.
»Sie, Basile, sind meines Wissens nicht mehr im Dienst und deshalb hier fehl am Platz. Warten Sie draußen.«
Der Befehlston lässt Basile zusammenzucken, doch er gehorcht. Nelly überlegt kurz, ob sie sich darüber mit dem ohnehin schon übel gesinnten Kollegen anlegen soll, sieht aber davon ab.
»Also, Dottor Musso. Es handelt sich um Ermittlungen zu einem kürzlich in Genua verübten Verbrechen. Ein berühmter Regisseur sardischer Herkunft, Alceo Pisu, ist in einer Altstadt-Kneipe vergiftet worden. Innerhalb der letzten Monate sind außerdem sein Vater Giacomo und sein Bruder Anselmo Pisu durch merkwürdige Unfälle zu Tode gekommen. Anselmo Pisus Sohn Giancarlo, schließlich, ist des Mordes an einem jungen Mädchen angeklagt, Gioia Innocenti, seiner Exfreundin. Der Junge leidet an Schizophrenie. Der ehemalige Brigadiere Basile ist von der Familie engagiert worden, um im Fall Innocenti zu ermitteln und den Jungen möglicherweise zu entlasten. Es gibt Indizien, die uns zu der Vermutung veranlassen, dass die Gründe für die merkwürdigen Unfälle und die beiden Morde in der Vergangenheit der aus Luras stammenden Familie Pisu zu suchen sind. Die Tatsache, dass Ex-Brigadiere Basiles Assistent Filippo De Magistris, der sich hier aufhielt, um dieser Sache nachzugehen, möglicherweise überfallen wurde und nun im hiesigen Krankenhaus im Koma liegt, scheint unsere Annahme zu bestätigen.«
Musso hat sich alles vollkommen reglos angehört. Jetzt schnauft er geräuschvoll und schüttelt mit ungläubiger Miene den Kopf.
»Was die Ermittlungen im Fall des Regisseurs Alceo Pisu betrifft, halte ich mich zurück, doch alles andere erscheint mir – mit Verlaub – die reinste Spekulation. Der Junge im Krankenhaus, den Sie, obwohl Sie ihn noch nicht identifiziert haben, für De Magistris halten, hat sich die Sache meiner bescheidenen Meinung nach selbst eingebrockt. Er war auf Abenteuersuche wie so viele. Er ist gestolpert und abgestürzt. Die Ärzte meinen, der kommt wieder in Ordnung, und dann wird er uns selbst erzählen, was passiert ist. Was die nebulösen Phantasien über das Heimatdorf der Familie anbelangt, glaube ich, werte Kollegin, dass Ihnen die falsche Lektüre über Sardinien zu Kopf gestiegen ist. Hier in der Gegend und auf der gesamten Insel hat sich in den letzten dreißig Jahren mehr getan als in den vorangegangenen drei Jahrhunderten. Von wegen jahrzehntealte Fehden! Aber euch in Genua hat De André mit seinen Liedern offenbar die Birne weichgekocht!«
Nelly hat genug.
»De André, der mit seiner Lebensgefährtin entführt und ganz hier in der Nähe gefangen gehalten wurde, meinen Sie? Wann hat es die letzte Entführung gegeben? 1997? Später? Sie wissen es bestimmt besser als ich, korrigieren Sie mich, wenn ich falschliege ... Und wenn De Magistris nun doch überfallen wurde und jemand darauf aus wäre, seine Arbeit zu Ende zu bringen und ihn zu töten? Übernehmen Sie dann die Verantwortung, ihn im Krankenhaus nicht unter Schutz zu stellen?«
Musso schnaubt wie ein wütender Stier, kann sich aber gerade noch zusammenreißen. Er trommelt mit den Fingern auf den Schreibtisch.
»Wir haben nun mal keine Heerscharen von Leuten, aber gut, wenn Sie mir zweifelsfrei bestätigen, dass es sich tatsächlich um De Magistris handelt, stellen wir einen Beamten zu seinem Schutz im Krankenhaus ab, bis er wieder aufwacht und wir wissen, was passiert ist. Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung. Und was das Übrige betrifft, können Sie gern in dieses Dorf fahren und die Toten befragen, nur zu, viel Spaß. Ich habe damit nichts zu schaffen.«
Er schickt sich an aufzustehen, Nelly und Gerolamo tun es ihm gleich.
»Wir werden Sie umgehend über die Identifizierung informieren. Danke,
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