Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Schritten hatte er die Remise erreicht und zog eine der Türen auf. Dahinter lag ein leerer Raum. »Autos! Ich kann Autos restaurieren! Ich kann wieder neu anfangen. Und hier ist jede Menge Platz dafür! Davon könnten wir doch leben.« Aufgeregt sah er in einen Stall nach dem anderen.
Joss folgte ihm lächelnd. Das Haus hatte ihn in seinen Bann geschlagen. Sie merkte, wie sich seine Stimmung von Minute zu Minute hob. Eine Weile blieb sie noch stehen, aber dann konnte sie ihre Ungeduld nicht mehr zügeln und ging allein zum rückwärtigen Eingang des Wohnhauses.
Die Tür war von der Feuchtigkeit aufgequollen und schabte kreischend über die Steinfliesen des schmalen, dunklen Flurs. »Wart auf mich!« Luke erschien hinter ihr und ergriff ihre Hand. »Ich finde, in diesem Haus sollte ich dich über die Schwelle tragen – meinst du nicht auch?«
Kichernd umklammerte Joss seinen Hals, als er sie aufhob und in den dunklen Flur hineintrug. Im ersten Zimmer angekommen, stellte er sie keuchend auf den Boden. »Guter Gott, Frau, was hast du bloß gegessen? Steine?« fragte er spöttisch.
Sie sahen sich schweigend um. Es war düster in dem riesigen Raum; nur an den Seiten der Fensterläden fiel ein blasses Licht herein. »Das ist die Küche«, flüsterte Joss. Eine Wand wurde von einem riesigen Kamin eingenommen, der einen überdimensionalen Herd beherbergte. Er erinnerte an eine große, schwarze Dampfmaschine. Obenauf thronte ein Metallkessel. Mitten im Zimmer standen ein blanker Eichentisch und darum herum sechs Wiener Stühle. Einer von ihnen war herausgezogen, als ob die Person, die darauf gesessen hatte, erst einen Augenblick zuvor den Raum verlassen hätte. Hinter den spinnwebenverhangenen Glasfenstern einer Anrichte zur Linken schimmerte Porzellan.
Ganz leise, wie zwei schuldbewußte Kinder, gingen Joss und Luke Hand in Hand zur Tür in der gegenüberliegenden Wand. Darüber war ein Brett angebracht, von dem fünfzehn jeweils mit einem Draht verbundene Glocken hingen; damit waren in alten Zeiten die Dienstboten von der Küche in andere Teile des Hauses gerufen worden.
Hinter der Küche entdeckten sie eine verwirrende Anzahl von Speisekammern und Spülküchen, und am Ende des Gangs eine mit Stoff beschlagene Tür. Sie blieben stehen.
»Oben die Herrschaften, unten das niedere Volk.« Luke lächelte und fuhr mit der Hand über die grüne Türbespannung. »Ist es dir recht, wenn wir nach oben gehen?«
Joss nickte. Sie zitterte. Luke schob die Tür auf, und vor ihnen lag ein breiter Gang. Auch hier war es düster, doch das Dunkel wurde von vereinzelten Sonnenstrahlen aufgehellt, in denen Staub tanzte. Hier bestand der Boden nicht mehr aus Steinplatten, sondern aus breiten Eichendielen, die früher einmal poliert und wohl mit dicken, exotischen Läufern bedeckt gewesen waren. Jetzt allerdings lagen sie fast vollständig unter einem Teppich aus trockenem Laub verborgen, das der Wind unter der Vordertür hereingeweht hatte.
Rechts von der vorderen Eingangstür fanden sie das Eßzimmer. Um den langen Tisch standen im Dämmerlicht insgesamt zwölf Stühle. Luke zählte sie ehrfürchtig. Linker Hand führte eine mächtige Tür – sie war viel älter als alles, was sie bislang gesehen hatten, und wirkte wie ein gotisches Kirchenportal – in einen riesigen Saal mit hoher Decke. Verblüfft starrten sie zu den sich wölbenden Balken und der Empore hinauf, die von Eichenpaneelen mit kunstvoll geschnitzten Bögen verkleidet war. »Mein Gott.« Joss ging einige Schritte in den Raum hinein. »Ich fühle mich in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt.« Schaudernd sah sie sich um. »Oh, Luke.«
Der Saal war spärlich möbliert. An den Wänden standen zwei schwere Eichentruhen, und in der Mitte ein einsamer langer Tisch. Im Kamin lag noch die Asche des letzten Feuers, das hier gebrannt hatte.
Auf der anderen Seite des Zimmers führte ein von einem verstaubten Vorhang verdeckter Bogen in einen weiteren Gang, von dem eine breite, geschwungene Eichentreppe nach oben führte. Sie spähten hinauf.
»Ich finde, wir sollten ein paar Fensterläden öffnen«, sagte Luke leise. »Das Haus braucht ein bißchen Tageslicht.« Er fühlte sich etwas unbehaglich. Joss’ Gesicht sah in dem düsteren Licht
leichenblaß aus, und sie wirkte unglücklich. »Komm, Joss, lassen wir die Sonne herein.«
Energisch ging er zu einem Fenster und mühte sich mehrere Minuten lang mit den Riegeln ab, mit denen die Läden verschlossen waren.
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