Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Ärmeln befanden sich verräterische Spuren von Ölfarbe.
»Monsieur, ich bin Lauras Tochter.« Ängstlich starrte sie ihn an und erwartete beinahe, auf Unverständnis zu stoßen. Aber sein markantes Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck des Erstaunens und dann zu einem strahlenden Lächeln. »Jocelyn?«
Er kannte ihren Namen.
Erleichtert nickte sie, und ihre Züge entspannten sich. »Jocelyn«, bestätigte sie.
»Oh, ma cherie !« Er streckte die Arme aus, zog sie an sich und drückte ihr auf jede Wange einen Kuß. »Endlich. Ach, wie lange haben wir auf diesen Moment gewartet, Laura und ich.« Plötzlich
trat er einen Schritt zurück. »Sie wissen doch – Verzeihung – Sie wissen doch, daß sie gestorben ist?«
Joss nickte.
Dann ergriff er ihre Hand. »Bitte, kommen Sie herein. Kommen Sie. Und das ist Ihr Mann, ja?« Er ließ sie los, um Lukes Hand ebenso herzlich zu drücken.
Joss nickte. »Es tut mir leid, so völlig unangemeldet hier zu erscheinen. «
»Das macht doch gar nichts! Wichtig ist nur, daß Sie endlich da sind! Kommen Sie, kommen Sie herein. Ich setze den Kaffee auf. Nein, wir brauchen etwas Besseres als Kaffee. Etwas Besonderes, zur Feier des Tages. Setzen Sie sich! Setzen Sie sich.« Er hatte sie in ein riesiges Atelier geführt, an dessen Wänden lauter Gemälde standen. In der Nähe des großen Fensters befanden sich zwei Staffeleien mit jeweils einer Leinwand darauf, während der dahinterliegende Bereich als Wohnzimmer diente: drei bequeme Sessel mit Überwurf, ein Couchtisch, ein Fernseher, um den sich Bücher und Papiere stapelten. Auf der einen Seite des Ateliers führte eine offene Treppe – fast eine Art Leiter – zu der Galerie hinauf, wo vermutlich das Schlafzimmer lag. Der alte Mann war in den Küchenbereich verschwunden. Noch während Joss und Luke vor einem der Bilder auf der Staffelei standen und die Farbenvielfalt des Gemäldes bewunderten, erschien er mit einem Tablett, auf dem drei Gläser und eine Flasche Wein standen. » Voilà ! Um anzustoßen!« Er setzte das Tablett auf dem niedrigen Tisch vor den Sesseln ab. »Hier, haben Sie gesehen? Alles Porträts Ihrer Mama! Hier! Und hier!«
Es waren mehrere riesige Bilder. Alle verrieten sie seinen Stil: großflächige Farbblöcke, die Emotion pur, Wärme und Lebendigkeit widerspiegelten, und doch fingen sie gleichzeitig auch die Zartheit der abgebildeten Frau ein. Ihre Haare – auf zwei Bildern dunkel mit weißen Strähnen, auf dem dritten grau-weiß und wild – waren die einer Zigeunerin. Sie war mit knallbunten Schals drapiert, doch ihre Haut hatte den zarten, durchscheinenden Teint der englischen Aristokratin, und ihre Augen hatten trotz des neckenden Blicks einen sehnsüchtigen Ausdruck. Vor dem letzten Porträt blieb Joss lange Zeit stehen.
»Das habe ich gemalt, nachdem wir von ihrer Krankheit erfuhren. « Paul stellte sich neben sie. »Sie war zwanzig Jahre jünger als ich. Es war grausam, daß sie mir genommen wurde, so bald nachdem wir uns gefunden hatten.«
»Wollen Sie mir von ihr erzählen?« bat Joss und bemerkte, daß ihr Tränen in den Augen standen.
»Natürlich.« Er führte sie zu den Sesseln zurück. »Kommen Sie, setzen Sie sich. Jetzt gebe ich Ihnen ein Glas Wein, und dann erzähle ich Ihnen alles, was Sie hören wollen.« Er schenkte ein. »Sie haben natürlich Belheddon gefunden«, sagte er ohne aufzublicken.
»Sonst hätte ich nicht gewußt, wo ich Sie finden würde«, erklärte sie und nahm ihm das Glas ab. »Waren Sie je dort?« Sie war wieder zu dem Bild hinübergegangen.
Er nickte, reichte Luke ein Glas, setzte sich dann hin und streckte seine langen, mit einer alten Jeans bekleideten Beine aus. »Freuen Sie sich über Ihr Erbe?« Er stellte die Frage vorsichtig, während er an seinem Wein nippte.
»Es gibt Probleme.«
»Mit alten Häusern gibt es immer Probleme«, meinte Paul mit einem bedächtigen Nicken.
»Warum?« Joss wandte sich von dem Bild zu ihm um. »Warum hat sie es mir hinterlassen, wenn sie selbst so große Angst dort hatte? Warum, wenn sie wußte, daß es gefährlich war? Das verstehe ich nicht.«
Paul hielt ihrem Blick mehrere Sekunden lang stand und setzte dann sein Glas ab. Achselzuckend stand er auf und ging zum hohen Fenster hinüber. Der graue Nachmittag war etwas freundlicher geworden, und am Himmel über den Häusern auf der anderen Straßenseite waren einige helle Streifen erschienen. Er stand mit dem Rücken zu ihr, die Schultern eingefallen, und steckte die
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