Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Hände in die Hosentaschen. »Sie war gequält, Jocelyn, hin und her gerissen. Ich kannte sie wohl rund zehn Jahre. Ich habe sie viele Jahre nach dem Tod Ihres Vaters kennengelernt. Natürlich hat sie mir von Ihren Brüdern und Ihnen erzählt. Sie hat oft von Ihnen gesprochen.« Er starrte über die Hausdächer in den Himmel, als ob er damit die Vergangenheit heraufbeschwören könnte.
»Damals habe ich sie gebeten, mich zu heiraten«, fuhr er fort, »aber sie hat sich geweigert. Sie war eine Gefangene in dem Haus.« Seine Stimme klang bitter. »Sie hat es gehaßt, aber sie hat es auch geliebt.« Erst nach einem längeren Schweigen setzte er hinzu: »Sie haben sich ganz sicher gefragt, warum sie Sie zur Adoption freigab?« Er stand noch immer mit dem Rücken zu ihr.
Joss nickte. Sie konnte nicht antworten.
Er hielt ihr Schweigen für eine Bestätigung. »Zu der Zeit hatte ich sie noch nicht gekannt. Ich kann mir ein wenig ihren Schmerz nach dem Tod Ihres Vaters vorstellen. Sie hat ihn ihr Leben lang angebetet.« Er lächelte selbstironisch. »Ich war für sie immer nur ein zweitklassiger Ersatz. Aber trotzdem konnte ich nicht verstehen, wie Laura Sie an Fremde weggeben konnte, wo Sie doch das einzige waren, was sie noch mit ihm verband. Nur ein- oder zweimal in der ganzen Zeit, die ich sie kannte, hat sie überhaupt versucht, mir etwas zu erklären, aber diesen Teil ihres Lebens hat sie gehütet. Ich glaube…« Er brach ab, um seine Worte sorgsam zu wählen, und fuhr dann fort: »Ich glaube, sie hatte das Gefühl, daß Ihnen ebenfalls etwas zustoßen würde, wenn Sie in Belheddon geblieben wären, ebenso wie ihren Söhnen etwas zugestoßen war. Der einzige Grund, ihr kleines, geliebtes bébé wegzugeben, bestand darin, Ihnen das Leben zu retten.« Endlich drehte er sich zu ihr um und machte eine ausdrucksstarke Geste. »Seien Sie nicht wütend auf sie, Jocelyn. Sie hat es getan, um Sie zu retten. Und es hat sie nur unglücklich gemacht. «
»Und warum…« Joss räusperte sich; das Sprechen fiel ihr schwer. »Warum hat sie mir dann das Haus hinterlassen?«
»Ich glaube, das war ihre einzige Möglichkeit, um selbst zu entkommen.« Er ging zu seinem Sessel zurück und setzte sich; dabei fuhr er sich mit den Fingern durch sein dichtes, weißes Haar. »Sie hat Sie gefunden, wußten Sie das? Ich weiß nicht, wie, aber sie hat herausgefunden, wer Sie adoptiert hatte, und irgendwie hat sie Sie immer im Auge behalten. Ich weiß noch, wie sie sagte…«, er lächelte schief, »›Das Mädchen bekommt eine gediegene Erziehung. Es sind gute Leute, und sie haben keine Phantasie.‹ Ich wies sie zurecht und sagte ihr: ›Du meinst,
du willst nicht, daß deine Tochter Phantasie hat – das Wertvollste auf der ganzen Welt?‹ Und sie sagte: ›Nein, ich will nicht, daß sie Phantasie hat. Ich möchte, daß sie bodenständig wird. Stoisch. Glücklich. Dann wird sie sich nie für ihre Herkunft interessieren.‹«
Joss biß sich auf die Unterlippe. Sie konnte noch immer nicht sprechen. An ihrer Stelle wandte Luke sich an Paul. »Sie meinen, es war gar nicht ihre Absicht, daß Joss das Haus bekam?«
Paul machte eine ungewisse Geste. »Sie war eine sehr komplizierte Frau. Ich glaube, sie wollte sich selbst hinters Licht führen. Indem sie Jocelyn das Haus vermachte, wollte sie einen Geist in dem Haus beschwichtigen, damit er sie gehen ließe. Das Testament war doch relativ kompliziert, nein?« Er sah zu Joss. »Damit es unwahrscheinlich war, daß sie das Haus tatsächlich erben würde. Es mußte Jocelyns eigener freier Wille sein. Wenn sie sich dafür entschied, dann…«, hilflos hob er die Hände, »… dann würde sie das Schicksal selbst auf sich nehmen. Wenn Sie wollen, könnte man sagen, daß sie sich bewußt selbst hinterging.«
»In dem Brief, den sie mir hinterließ, sagt sie, es sei der Wunsch meines Vaters gewesen, daß ich das Haus erbe«, erklärte Joss langsam.
»Ihr Vater?« Paul sah schockiert aus. »Es fällt mir schwer, das zu glauben. Soweit ich weiß, hat Ihr Vater das Haus gehaßt. Er hat sie immer wieder angefleht, es zu verkaufen; das hat sie mir selbst gesagt.«
»Und wie ist es Ihnen schließlich gelungen, sie dazu zu bewegen, das Haus zu verlassen?« Luke griff nach der Weinflasche und schenkte sich ein zweites Glas ein.
»Es war das Testament«, antwortete er. »Ich weiß nicht, wer sie dazu überredet hat, Ihnen das Haus zu vererben, aber sobald sie das getan hatte, war es, als wären die Türen
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