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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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wurde ihr augenblicklich geöffnet. Mary Sutton war eine kleine, runzelige Frau mit dünnen weißen Haaren, die sie am Oberkopf zu einem Knoten gebunden hatte. Ihr schmales, vogelähnliches Gesicht wurde von einer schweren Schildpattbrille beherrscht.
    Sie führte Joss in ein kleines, schmuckes Wohnzimmer, in dem es stark nach altbackenem Brot und verwesten Blumen roch. Auf dem mit einem braunen Plastiktuch bedeckten Tisch lag ein kleines Notizbuch von derselben Art wie das im Sekretär ihrer Mutter. Während sie sich auf den Sessel neben dem Fenster setzte, den Mary Sutton ihr anbot, konnte sie den Blick nicht davon abwenden.

    Nach mehreren Sekunden, in denen sie schweigend einer Musterung unterzogen wurde, erschien auf dem ernsten Gesicht ihres Gegenübers ein strahlendes Lächeln. »Sie dürfen mich Mary nennen, meine Liebe, wie Ihre Mutter.« Dann wandte sie sich ab und schenkte Tee ein aus einer Kanne, die auf einem Tablett auf der Anrichte bereitstand. »Ich habe mich um Sie gekümmert, als Sie ganz klein waren. Und ich habe Sie auch zu den Leuten gebracht, die Sie adoptiert haben.« Sie blinzelte heftig. »Ihre Mutter brachte es nicht fertig, dabeizusein. Sie ist in den Feldern unten am Fluß spazierengegangen, bis Sie fort waren.«
    Joss starrte sie entsetzt an. Sie hatte einen Kloß im Hals und konnte nichts hervorbringen. In den Augen der alten Dame, die durch die dicken Brillengläser riesig vergrößert waren, standen Tränen.
    »Warum hat sie mich weggegeben?« Es dauerte eine Zeit, bis Joss diese Frage zu stellen wagte. Mit zitternden Händen nahm sie die Teetasse entgegen und stellte sie rasch auf dem Tisch ab. Ihr Blick war wieder zu dem Notizbuch gewandert.
    »Ganz bestimmt nicht, weil sie Sie nicht geliebt hätte. Im Gegenteil – sie hat es getan, weil sie Sie über alles liebte.« Mary setzte sich, zog sich den Rock über die Knie und schob die Stoffmassen unter ihre knochigen Oberschenkel. »Wissen Sie, die anderen waren gestorben. Und sie dachte, wenn Sie in Belheddon bleiben würden, würden Sie auch sterben.«
    »Die anderen?« preßte Joss zwischen trockenen Lippen hervor.
    »Sammy und George. Ihre Brüder.«
    »Sammy?« Joss starrte sie an; plötzlich war ihr sehr kalt.
    »Was sagten Sie, meine Liebe?« fragte Mary.
    »Sie haben sich um sie gekümmert? Um meine Brüder?« flüsterte Joss.
    Mary nickte. »Von dem Tag an, an dem sie geboren wurden.« Sie lächelte wehmütig. »Sie waren richtige Lausbuben, alle beide. Wie ihr Vater. Ihre Mutter hat sie angebetet. Als sie gestorben sind, ist sie beinahe daran zugrunde gegangen. Zuerst Sammy, dann Georgie. Das hätte keine Frau ertragen.«
    »Wie alt sind sie geworden?« Joss hielt ihre Finger angespannt im Schoß verschränkt.

    »Sammy war sieben, als er starb, nicht ganz sieben. Und Georgie kam ein Jahr später zur Welt, 1954. Er ist an seinem achten Geburtstag gestorben, Gott segne ihn.«
    »Wie?« Joss’ Flüstern war kaum zu hören.
    »Es war schrecklich, bei beiden. Sammy hat Kaulquappen gefangen. Sie haben ihn im See gefunden.« Es folgte eine lange Pause. »Als Georgie gestorben ist, hat das Ihre Mutter beinahe umgebracht.«
    Joss starrte Mary sprachlos an, während ihre Gastgeberin kopfschüttelnd von ihrer Tasse nippte. »Sie haben ihn unten an der Kellertreppe gefunden. Er wußte, daß er dort eigentlich nicht hin durfte. Mr. Philip hatte die Kellerschlüssel. Sie lagen immer noch in seinem abgeschlossenen Schreibtisch.« Sie seufzte. »Aber das ist lange her, meine Liebe. Sie dürfen ihnen nicht nachtrauern. Das hätte Ihre Mutter nicht gewollt.« Sie nahm das Notizbuch zur Hand, legte es auf ihren Schoß und strich sanft darüber. »Das habe ich all die Jahre über aufgehoben. Es ist nur recht und billig, daß Sie es bekommen. Es enthält die Gedichte Ihrer Mutter.« Doch sie legte das Buch nicht beiseite, sondern hielt es eng an sich gedrückt, als ob sie es nicht ertragen könnte, sich davon zu trennen.
    »Sie müssen sie sehr geliebt haben«, sagte Joss schließlich mit Tränen in den Augen.
    Mary erwiderte nichts, sondern streichelte das Notizbuch immer nur weiter.
    »Kannten Sie – kannten Sie den Franzosen, der hierherkam?« Joss betrachtete das Gesicht der alten Dame und bemerkte, daß sie ganz leicht den Mund verzog. Ein Anflug von Mißbilligung, mehr nicht.
    »Ja, ich habe ihn gekannt.«
    »Und wie war er?«
    »Ihre Mutter mochte ihn.«
    »Ich weiß nicht einmal seinen Nachnamen.«
    Endlich hob Mary den Blick. Offenbar

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