Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
nicht gefragt, wie es bei Mary Sutton war.«
Luke zog eine Augenbraue hoch. »Als du zurückgekommen bist, habe ich deinem Gesicht entnommen, daß es teils gut, teils schlecht war. Willst du mir davon erzählen?«
»Meine beiden Brüder sind hier gestorben, als sie noch klein waren, Luke. Bei Unfällen.«
Sie blickte zu Tom und verspürte plötzlich das schmerzliche Verlangen, ihn im Arm zu halten. Wie hatte ihre Mutter es nur ertragen, zwei Jungen zu verlieren?
»Aber Tom-Tom wird nichts passieren, Joss.« Luke konnte immer ihre Gedanken lesen. Dann wechselte er abrupt das Thema. »Hör mal, weil wir gerade über Tom-Tom und dein Schreiben reden – was hältst du davon, wenn wir Lyn bitten, zu uns zu kommen und sich ein bißchen um ihn zu kümmern? Als richtiger Job.« Sorgfältig trocknete er Toms Hände, setzte ihn auf dem Boden ab und schob ihn mit einem kleinen Klaps sanft in Joss’ Richtung.
Sie streckte ihm die Arme entgegen. »Du meinst, solange sie keine Arbeit hat? Es stimmt schon, sie kommt gut mit Tom zurecht, und wir könnten wirklich jemanden brauchen, der uns hilft. Aber mehr als ein Taschengeld können wir ihr nicht bezahlen. Ich hätte Zeit, mich mehr um das Haus zu kümmern.« Sie lächelte. »Und meinen Bestseller zu schreiben.«
»Das ist kein Witz, Joss. Wir brauchen das Geld. Du hast doch schon früher Sachen veröffentlicht. Ich bin davon überzeugt, daß du das kannst.«
»Aber früher habe ich nur für wissenschaftliche Zeitschriften geschrieben, Luke. Das große Geld verdient man damit nicht. Und dann die paar Kurzgeschichten.«
»Das kleine Geld würde schon reichen, Schätzchen«, sagte er lächelnd. »Ich finde wirklich, daß du es versuchen solltest. Alles,
was uns hilft, über die Runden zu kommen. Damit wir uns Brot und Kartoffeln leisten können, bis wir nächstes Jahr groß einsteigen mit Gemüsebeet, Weingarten, Frühstückspension, Garage für alte Fahrzeuge – mit Darlehen für Kleinunternehmer«, die Unterlagen dafür stapelten sich auf dem Tisch im Eßzimmer, »Kräutergarten, Kindergruppe und Falschgelddruckerei.«
Sie lachte. »Ich bin froh, daß wir keine zu großen Pläne schmieden. Schenk mir ein Glas Wein ein, und dann stoßen wir an auf die Unternehmergruppe Grant, Grant und Davies.« Sie hob Tom auf ihren Schoß und hauchte ihm einen Kuß aufs Haar, verzog aber beim Geruch von Öl, Schmierseife und Dreck das Gesicht. »Junger Mann, ab in die Badewanne.«
Tom drehte sich um und warf ihr ein strahlendes Lächeln zu. »Tom draußen baden.«
Joss erstarrte. Plötzlich tauchte das Bild eines anderen kleinen Jungen vor ihr auf, eines kleinen Jungen, der im See nach Kaulquappen fischte. Sie drückte Tom fest an sich.
»Nein, Tom«, flüsterte sie. »Nicht draußen. Da draußen darfst du nicht schwimmen. Nie.«
9
» L uke?«
»Hmmm?«
Luke war am Sekretär ihrer Mutter in Unterlagen vertieft. Nach dem Abendessen hatten sie den letzten Rest des Weins, den sie mittags aufgehoben hatten, ins Arbeitszimmer gebracht, um ihn vor dem Feuer zu trinken. Joss saß auf dem Teppich und legte Reisig auf das prasselnde Feuer. Draußen, hinter den Gardinen, hatte sich winterliche Kälte über den stillen Garten gebreitet.
»Wenn wir schon einen Keller voller Wein haben, könnten wir es uns doch leisten, noch eine Flasche zu öffnen, oder?« Neben ihr stand ein Karton mit Briefen und Papieren, den sie hinter den alten Seidenvorhängen in der untersten Schublade der Kommode im Schlafzimmer gefunden hatte. Auf dem Karton stand
der Name des Warenhauses Bourne and Hollingsworth. Er trug einen Poststempel vom 23. September 1937 und war an John Duncan Esq., Belheddon Hall, Essex adressiert.
»Freilich. Aber einer von uns müßte sie holen.«
»Das ist deine Aufgabe.«
Er lachte. »Machen wir’s doch zusammen, gehen wir beide runter.«
»Hmm.« Sie biß sich auf die Unterlippe.
»So schlimm ist es doch nicht, Joss. Es gibt Licht und Hunderte und Aberhunderte von wunderbaren Flaschen. Keine Ratten.«
»Ich habe doch keine Angst vor Ratten!« wehrte sie verächtlich ab.
»Also gut.« Er legte seinen Stift beiseite und stand auf. »Dann komm.«
»Soll ich nicht besser den Korkenzieher aus der Küche holen?«
»Joss.«
Sie zuckte verlegen mit den Schultern. »Es ist nur – Luke, einer meiner Brüder ist die Kellertreppe hinuntergefallen und war tot.«
Abrupt ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen. »Ach, Joss, warum hast du mir das nicht erzählt?«
»Das habe ich erst
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