Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
war dies eine Auskunft, die sie preisgeben konnte. »Er hieß Paul Deauville. Er war Kunsthändler. Angeblich hat er die ganze Welt bereist.«
»Hat er in Paris gelebt?«
»Ja.«
»Und ist meine Mutter zu ihm gezogen?«
Die alte Dame erschauderte ein wenig. »Er hat Ihre Mutter von Belheddon weggeholt.«
»Glauben Sie, daß er sie glücklich gemacht hat?«
Mary begegnete Joss’ Blick und hielt ihm stand. »Ich hoffe es, meine Liebe. Nachdem sie fort war, habe ich nie wieder von ihr gehört.«
Als befürchte sie, zuviel offenbart zu haben, preßte sie die Lippen zusammen. Nach einigen ergebnislosen Versuchen, mehr von ihr zu erfahren, stand Joss auf und verabschiedete sich. Erst als sie durch die Haustür in die grelle Wintersonne treten wollte, konnte Mary sich schließlich dazu überwinden, ihr das Notizbuch zu geben.
»Hüten Sie es gut. Es ist so wenig von ihr geblieben.« Die alte Dame berührte sie am Arm.
»Ich werde es hüten wie meinen Augapfel.« Joss zögerte. »Mary, möchten Sie uns einmal besuchen kommen? Es würde mich freuen, wenn Sie meinen kleinen Tom kennenlernen.«
»Nein, meine Liebe. Verzeihung, aber das Haus betrete ich nicht. Besser nicht.« Damit verschwand sie wieder in die Dunkelheit ihres kleinen Flurs und schlug Joss beinahe die Tür ins Gesicht.
Joss entdeckte die Gräber hinter dem ihres Vaters. Beide waren mittlerweile überwuchert, und deswegen hatte sie die zwei kleinen weißen Steinkreuze nicht gesehen, die nebeneinander in den Brennesseln unter dem Baum standen. Sie blieb lange Zeit davor stehen. Samuel John und George Philip. Irgend jemand hatte die beiden Gräber mit weißen Chrysanthemen geschmückt. Joss lächelte durch ihre Tränen hindurch. Zumindest Mary hatte die beiden nie vergessen.
Als sie nach Hause kam, waren Luke und Tom in der Remise in irgendeiner Arbeit vertieft. Mit einem Blick auf die konzentrierten, ölverschmierten Gesichter überließ sie die beiden ihren Mechanikerkünsten und zog sich mit dem Notizbuch ins Arbeitszimmer zurück. Die Sonne hatte es ein wenig aufgewärmt. Lächelnd legte sie im Kamin einige Scheite nach, um das Feuer wieder anzufachen. In ein paar Minuten würde es hier fast erträglich sein. Dann machte sie es sich in dem Sessel in der Ecke
bequem und öffnete das Buch. Laura Manners – Literarisches Notizbuch stand auf der ersten Seite, in derselben großzügigen Handschrift wie im anderen Buch. Nach einem Blick auf die ersten Seiten stieg Enttäuschung in ihr auf. Sie hatte eigene Gedichte ihrer Mutter erwartet, aber es waren lediglich Zitate und Verse von anderen Autoren – offenbar eine Sammlung ihrer Lieblingsgedichte und -texte. Da waren Keats’ Ode An den Herbst , zwei oder drei Shakespeare-Sonette, einige Verse von Byron, Grays Elegie .
Langsam blätterte sie weiter, las hier und dort einige Zeilen und versuchte, sich ein Bild von der Vorliebe und der Bildung ihrer Mutter zu machen. Romantisch, eklektisch, gelegentlich ausgefallen. Da standen Zitate von Racine und Dante im französischen und italienischen Original, eine kurze Strophe von Schiller. Also war sie sprachbegabt gewesen. Es gab sogar Epigramme auf lateinisch. Aber plötzlich veränderte sich das Gefühl des Buchs. Zwischen zwei Seiten steckte ein altes, an den Rändern eingerissenes Blatt; es war sehr brüchig und mit einem stark verfärbten Tesaband in das Heft geklebt. Es war eine Seite Chinapapier, die, wie Joss vermutete, aus einem katholischen Meßbuch gerissen worden war. Darauf stand auf englisch und lateinisch ein Gebet zum Segnen von Weihwasser.
… Ich tue dies, damit der böse Geist von dir weiche und du die Macht des bösen Feindes bannen mögest, daß du den Feind selbst mit all seinen gefallenen Engeln ausmerzest und vertreibest …
… damit alles, was in der Heimstätte der Gläubigen oder an einem anderen Orte damit besprengt wurde, von allem Unreinen und Schädlichen befreit werden möge. Kein Hauch des Giftes, keine Spur des Übels möge dort noch verweilen. Mögen alle Listen des Verderbers zu nichts führen, und möge alles, was die Sicherheit oder den Frieden jener, die dort wohnen, bedroht, durch das Besprenkeln mit diesem Wasser in die Flucht geschlagen werden…
Joss ließ das Buch sinken. Erst jetzt merkte sie, daß sie die Worte laut gelesen hatte. Im Haus war es ganz still.
Exorcizo te, in nomine Dei + Patris omnipotentis, et in nomine Jesu Christi Filii ejus, Domine nostri, et in virtute Spiritus Sancti …
Der Teufel
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