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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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ihm Gesicht und Hände waschen, die Haare mit der weichen Babybürste bürsten –, und dabei bemerkte sie, daß er alle paar Minuten zum Fenster schaute. Als sie ihn auf den Teppich setzte, um das Bett zu machen, die nasse Wäsche abzuziehen und das Gummilaken zu trocknen, lutschte er mit Hingabe an seinem Daumen.
    »Mann weggehen.« Er zog den Daumen gerade lang genug aus dem Mund, um das zu sagen, und lutschte wieder weiter.
    Joss drehte sich um. »Welcher Mann?« Ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt, und sie bemerkte, daß seine Augen sich sofort wieder mit Tränen füllten. Verzweifelt streckte er die Arme nach ihr aus, und sie nahm ihn hoch. »Welcher Mann, Tom-Tom? Hast du von einem bösen Mann geträumt?« Obwohl sie es nicht wollte, folgte sie seinem Blick in die Ecke des Zimmers. Sie hatte hübsche Vorhänge für das Fenster gekauft, bunt gemusterte Übergardinen mit Ballons, Schleifen und Clowns, die durch Reifen sprangen. Mit den Gardinen und dem weichen, bunten Läufer war das Kinderzimmer zu einem der freundlichsten Räume im ganzen Haus geworden. Aber war im trüben Licht der kleinen Nachtlampe etwas gewesen, das einen Schatten geworfen und ihn erschreckt hatte?
    »Erzähl mir von dem Mann«, forderte sie ihn sanft auf.
    »Blechmann.« Tom packte das Medaillon, das an einer Kette
um ihren Hals hing, und zerrte versuchshalber daran. Lächelnd entzog sie es ihm. »Ein Blechmann. Aus einem deiner Bücher?« Das war die Erklärung. Erleichtert seufzte sie auf. Lyn hatte ihm vor ihrer Abfahrt wohl aus »Der Zauberer von Oz« vorgelesen. Sie drückte ihn an sich und sagte: »Komm, Tom-Tom, jetzt stelle ich dir die Nachbarn vor.«
    Sie wußte aus Erfahrung, daß ihr Sohn, wenn er in der warmen Küche auf Lukes Knien saß, innerhalb von zehn Minuten einschlafen würde. Und morgen würde sie als allererstes ein Babyphon kaufen, damit Tom nie wieder in seinem abgelegenen Zimmer schreien mußte, ohne daß sie ihn hörten. Mit einem letzten prüfenden Blick durch das Zimmer trug sie ihn in das dunkle, große Schlafzimmer. Dort war es sehr kalt. Das frostige Mondlicht fiel durch die Fenster auf den Boden, ließ die polierten Eichendielen sanft leuchten und warf die Schatten des Himmelbetts als dickes Gittermuster auf den Teppich. Joss blieb stehen, preßte Toms Gesicht an ihre Schulter und schaute in die gegenüberliegende Ecke. Ihre Jacke, die am Griff des Kleiderschranks hing, wirkte wie ein schwarzer Keil vor schwarzem Hintergrund. Schützend drückte sie den kleinen Jungen noch fester an sich.
    Katherine.
    Es war ein Flüstern in der Stille. Tom hob den Kopf. »Daddy?« sagte er und sah sich um.
    Joss schüttelte den Kopf. Es war nichts. Einbildung. Luke saß in der Küche. »Nein, Liebling, da ist niemand.« Sie drückte ihm einen Kuß auf die Haare. »Daddy ist unten. Komm, wir gehen zu ihm.«
    »Blechmann.« Tom zog den Daumen lange genug aus dem Mund, um in die dunkle Ecke hinter Joss zu deuten. »Blechmann da.« Er verzog das Gesicht und schluchzte leise auf, bevor er seinen Kopf wieder an ihrer Schulter verbarg.
    »Nein, Liebling, kein Blechmann. Das ist nur ein Schatten.« Joss ging schnell zur Tür und rannte fast durch den Flur und die Treppen hinunter.
    »Ja, wer ist denn das?« Roy stand auf und streckte die Arme nach Tom aus. »Wieso bist du denn nicht schon früher zu unserer Party gekommen?«

    »Joss?« Luke hatte Joss’ bleiches Gesicht bemerkt. »Was ist los? Was ist passiert?«
    »Nichts. Er hat geweint, und wir haben ihn nicht gehört. Wahrscheinlich hat er schlecht geträumt.«
    Von einem Blechmann, der in dunklen Ecken lauerte.

8
    I n den Schubladen des Rollbureaus stapelten sich Papiere und Briefe – die Relikte eines Lebens, erledigt, abgeheftet und vergessen. Als Joss zwei Tage später auf dem Boden saß und alle Unterlagen um sich ausbreitete, konnte sie nichts finden, was das geheimnisvolle Notizbuch ihrer Mutter erklärte oder auch nur erwähnte. Immer wieder hatte sie es zur Hand genommen. Es waren keine Seiten herausgerissen, keine Einträge auf irgendeine Art entfernt worden. Es war, als hätte ihre Mutter die Titelseite sorgfältig mit Joss’ Namen beschriftet und dann nur noch ein einziges Mal danach gegriffen, um diese Zeilen hineinzuschreiben. Die zwei Sätze verfolgten Joss. Sie waren ein flehentlicher Hilferuf, ein Aufschrei der Verzweiflung. Was war passiert? Wer konnte sie derart gequält haben? War es vielleicht der Franzose, den die Leute im Dorf für ihren

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