Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Geliebten hielten?
Luke hatte sie nichts von dem Notizbuch erzählt, denn für sie war es, als habe ihre Mutter ihr ein Geheimnis zugeflüstert und sie dürfe dieses Vertrauen nicht mißbrauchen. Dieses Rätsel mußte sie allein lösen. Sie legte das Notizbuch beiseite und griff nach der Kaffeetasse, die neben ihr auf dem Teppich stand. Während sie nachdenklich davon trank, blickte sie durch die Glastüren auf den Rasen. In der Nacht hatte es wieder Frost gegeben, und im Schatten der hohen Hecke jenseits des Wagenschuppens war der Rasen noch weiß, aber der Himmel war strahlend blau. Durch das Fenster hallte das klingende Geräusch von Metall, das auf Metall geschlagen wird. Luke kam mit seiner Arbeit am Bentley gut voran.
Ein Rotkehlchen hüpfte auf die Steinplatten der Terrasse und blieb mit zur Seite gelegtem Kopf stehen. Joss lächelte. Nach
dem Frühstück hatte sie die Brotkrümel vom Tisch dort ausgestreut, aber der Schwarm Spatzen und Amseln, der von den Bäumen herabgeschwirrt war, hatte kaum etwas übriggelassen.
Im Haus herrschte absolute Stille. Tom schlief, und zumindest im Augenblick hatte sie Ruhe. Sie fuhr mit dem Finger leicht über den Rücken des Notizbuchs. »Mutter«. Das Wort hing in der Luft. In dem Zimmer war es noch immer sehr kalt. Joss fröstelte. Zu ihrer Jeans hatte sie zwei dicke Wollpullover angezogen und sich zum Schutz vor der schrecklichen Zugluft, die überall im Haus herrschte, einen langen Seidenschal um den Hals gebunden, aber trotzdem waren ihre Hände eisig. Bald würde sie in die Küche gehen, um sich aufzuwärmen und sich Kaffee nachzuschenken. Bald. Aber jetzt blieb sie still sitzen, blickte sich um und versuchte, die Gegenwart ihrer Mutter zu fühlen. Dieser Raum war Lauras Lieblingszimmer gewesen, daran hatte sie keinen Zweifel. Ihre Bücher, ihre Nähsachen, ihr Sekretär, ihre Briefe – und doch war nichts von ihr geblieben. In den Kissen hing kein Duft, und wenn Joss mit den Fingern über die Stelle strich, auf der die Hand ihrer Mutter geruht hatte, spürte sie keine Wärme, keine Schwingungen – nichts vermittelte mehr die Aura der Frau, die sie zur Welt gebracht hatte.
Das Kuvert mit der französischen Briefmarke lag in einem verblaßten grünen Kartonumschlag zwischen alten Rechnungen. Joss betrachtete die schräge Handschrift, die verblaßte lilafarbene Tinte. Auf dem Poststempel konnte sie den Ort Paris und das Jahr 1979 entziffern. Innen lag ein dünner Bogen.
»Ma chère Laura – Wie du siehst, bin ich nicht wie erhofft schon gestern nach Hause gekommen. Mein Termin hat sich auf morgen verschoben. Ich werde dich danach anrufen. Gib acht auf dich, Dame meines Herzens. Ich schließe dich in meine Gebete ein.«
Die Unterschrift war ein unleserliches Gekritzel. Sie blinzelte und versuchte, den ersten Buchstaben zu entziffern. War es ein P? Ein B? Seufzend legte sie das Blatt beiseite. Es stand keine Adresse darauf.
»Und was treibst du?« Luke war so leise ins Zimmer gekommen, daß sie ihn gar nicht gehört hatte.
Erschreckt blickte sie auf. »Ich inspiziere den Schreibtisch.«
Wie sie trug er mehrere Pullover übereinander, und darüber den schmutzigen Overall und einen Wollschal; trotzdem fror er, das sah man sofort. Er rieb sich die ölverschmierten Hände. »Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich bin zum Eisklotz geworden. «
»Ja, gerne.« Noch während sie die Papiere auf dem Teppich zu einem Stapel zusammenschob, läutete das Telefon. »Mrs. Grant?« Sie kannte die Stimme der Anruferin nicht, aber sie gehörte einer älteren Frau. »Wie ich höre, haben Sie versucht, mich zu erreichen. Ich bin Mary Sutton.«
Joss fühlte, wie ihr Herz einen Satz machte. »Ja, das stimmt, Mrs. Sutton …«
»Miss, meine Liebe, Miss Sutton.« Plötzlich wurde der Ton am anderen Ende der Leitung etwas kühl. »Fremden öffne ich die Türe nicht, verstehen Sie. Aber da ich nun weiß, wer Sie sind, dürfen Sie mich besuchen. Ich habe etwas, das Sie interessieren könnte.«
»Jetzt?« fragte Joss verwundert.
»Das ist richtig. Es liegt jetzt hier.«
»Gut, dann ich komme ich.« Schulterzuckend legte sie den Hörer auf. »Eine etwas gebieterische Miss Sutton ist bereit, mich zu empfangen. Ich verzichte auf den Kaffee und gehe zu ihr, bevor sie ihre Meinung ändert. Sie sagt, sie hätte etwas für mich. Paßt du auf Tom-Tom auf?«
»Natürlich.« Luke beugte sich vor und gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Bis später.«
Als Joss diesmal an der Cottage-Tür klopfte,
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