Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Joss sah ihnen von dem Eichenstuhl mit der hohen Rückenlehne in der Ecke aus zu. Seit wie vielen Jahrhunderten hatten solche Sängergruppen die frohe Botschaft von Weihnachten in dieses Haus gebracht? Wenn sie die Augen zusammenkniff, konnte sie die Sänger so sehen, wie Anne und Richard in ihrem Roman sie gesehen haben würden, zusammengedrängt vor dem riesigen Kamin, in Stiefeln, mit roten Nasen und von der Kälte aufgesprungenen Händen. Ihre Laternen standen im Halbkreis auf dem Tisch, und Lyn hatte die Kerzen in den alten Leuchtern angezündet und die Lampen ausgemacht, so daß außer den bunten Lichtchen am Baum kein elektrisches Licht brannte. Sogar die Lieder würden dieselben gewesen sein – nach This Endris Night hatten sie Adam lay ybounden angestimmt. Joss ließ sich von den Worten umfangen, die den Raum füllten und von den Wänden widerhallten. Vielleicht hatte Katherine an einem ebenso eisigen Abend vor fünfhundert Jahren diese Lieder gehört. Joss erschauderte. Sie konnte sie sich so gut vorstellen: lange, dunkle Haare, die unter der adretten Haube verborgen waren, ihre dunkel-saphirfarbenen Augen strahlend vor Glück, ihr Gewand über den Boden streifend, als sie den Weinkelch hob, um ihrem Herrn zuzutrinken …
Liebste! Beim Julfest war er ihr zum ersten Mal begegnet. Sein Blick war ihrer anmutigen Gestalt gefolgt, während sie mit ihren Cousins tanzte und spielte. Die Musik hatten ihre Augen zum Funkeln gebracht, und ihre Wangen glühten in der Wärme des Kaminfeuers.
»Joss, fehlt dir etwas?« fragte Lyn und legte ihr einen Arm um die Schulter. Ihr war aufgefallen, daß ihre Schwester heftig zitterte. »Was ist los?«
»Nichts. Mir ist nur ein bißchen kalt.« Die Sternsinger bemerkten nichts; sie sangen immer weiter, ihre Stimmen schwangen sich mühelos zu den hohen Noten empor und stiegen in das Gebälk hinauf. Aber es war das letzte Lied. Sie mußten weiter, zuerst zur Farm der Goodyears und dann zum Pfarrhaus. Sie wickelten sich wieder in ihre Schals, zogen die Handschuhe an und nahmen die Münzen für ihren Sammelbeutel entgegen.
Nachdem sie gegangen waren, herrschte eine seltsam tiefe Stille im großen Saal. Als wollte niemand die Stimmung zerstören, blieben alle noch eine Weile schweigend vor dem Kamin sitzen und starrten in die Glut.
Katherine, Liebste, wart auf mich!
Die Worte waren beinahe greifbar, wie ein Traum, an den man sich halb erinnert und der einem immer entgleitet, bevor man ihn fassen kann. Joss seufzte.
»Die Lieder waren so schön«, unterbrach sie schließlich die Stille. »Es ist seltsam – wenn der Teufel hier leben sollte, würde man doch erwarten, daß man das Böse irgendwie spüren könnte. Aber hier ist kein böses Gefühl.«
»Natürlich nicht.« Luke gab ihr einen Kuß. »Ich wünschte, du würdest diese Sache mit dem Teufel vergessen. Wir leben glücklich in einem wunderschönen Haus voll guter Erinnerungen.« Liebevoll fuhr er ihr durchs Haar. »Dem Teufel würde das gar nicht gefallen!«
Als Joss später in das hohe Bett schlüpfte, schlief Luke bereits. Sie hatte lange in der Badewanne gelegen, um die Kälte aus ihren Knochen zu vertreiben, aber das Wasser war nicht heiß genug gewesen. Sie hatte sich gegen das Email gedrückt und versucht,
die letzte Wärme aus dem rasch abkühlenden Bad in sich aufzunehmen. Als sie schließlich mühsam aus der Wanne stieg und sich in ein Handtuch hüllte, bemerkte sie, daß sich das verkümmerte Heizungssystem bereits unter den üblichen ächzenden und klickenden Geräuschen für die Nacht abgestellt hatte. Heißes Wasser und lauwarme Heizkörper würde es erst morgen früh wieder geben, wenn sich das System mit Gottes Hilfe unwillig knarzend wieder in Gang setzte. Fröstelnd ging sie in Toms Zimmer. Er war fest in seine Thermodecken gepackt und schlief tief; sein Gesicht war warm und rosa. Joss ließ die Tür einen Spaltbreit offenstehen, schlich in ihr eigenes Zimmer, zog widerstrebend den Morgenmantel aus und kroch neben Luke ins Bett.
Draußen stand der Mond als eine harte, silberne Scheibe am sternübersäten Himmel. Der Garten war mit weißem Rauhreif überzogen, und es war fast taghell. Luke hatte die Gardinen vor dem hinteren Fenster nicht ganz zugezogen, deswegen konnte sie die strahlende Nacht draußen sehen. Das Mondlicht fiel auf den Boden und über die Bettdecke.
Da standen sie alle im finsteren Zimmer: die Dienerschaft, die Familie, der Priester. Bleiche Gesichter wandten sich ihm zu, als er
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