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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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Schreibtisch ging. Ihr Stift lag auf dem aufgeschlagenen Buch; sie hatte ihn so schnell hingeworfen, daß ein langer, fahriger Strich über die Seite lief. Daneben lag eine getrocknete Rosenknospe. Die zusammengerollten Blütenblätter waren braun und so dünn und brüchig wie Seidenpapier. Joss nahm sie in die Hand. »Sie war ganz frisch – kalt.« Sie berührte die Knospe mit der Fingerspitze. Die Blütenblätter fühlten sich an wie Pergamentpapier; ein vertrocknetes Blatt zerfiel unter ihrer Berührung zu nichts.
    Luke sah sie an. »Alles nur Einbildung, Schätzchen. Wahrscheinlich ist sie aus einem der Fächer gefallen. Du hast doch gesagt, daß in dem Sekretär lauter alte Sachen von deiner Mutter sind.« Sanft nahm er ihr die Rose aus der Hand, ging zum Feuer und warf sie in die Glut. Im Bruchteil einer Sekunde war sie in Flammen aufgegangen.

12
    L ydias Tagebuch öffnete sich bei dem Lesezeichen, einem großen, getrockneten Blatt, das einen leichten Minzeduft verströmte.
    16. März 1925. Er ist wiedergekommen. Meine Angst wird mit jeder Stunde größer. Polly ist auf meinen Wunsch hin zum Pfarrhaus gegangen, um Simms zu holen, und die Kinder habe ich mit dem Kindermädchen zu Pilgrim Hall geschickt mit einem Brief, in dem ich Lady Sarah anflehe, sie alle für die Nacht bei sich aufzunehmen. Abgesehen von den Dienstboten bin ich ganz allein.
    Joss’ Blick wanderte zu dem staubigen Dachbodenfenster. Die Sonnenstrahlen fielen im schrägen Winkel ins Zimmer und hoben die beigefarbenen Gänseblümchen hervor, das einzig noch sichtbare Muster auf der verblichenen Tapete. Obwohl die Sonne das Zimmer erwärmt hatte, zitterte sie und mußte an die hallenden Räume in dem leeren Haus unter sich denken.

    Bis auf diese Zeilen war die Seite leer. Joss blätterte weiter – alle Blätter waren unbeschrieben. Der nächste Eintrag stammte bereits vom 12. April, fast einen Monat nach dem ersten.
    Jetzt ist es Ostern. Im Garten blühen überall die Narzissen, und ich habe sie körbeweise gepflückt, um jedes Zimmer zu schmücken. Die schleimige Flüssigkeit, die aus den Stielen austritt, hat Flecken auf meinem Kleid hinterlassen – vielleicht eine Strafe für meinen Versuch, dieser abgrundtiefen Verzweiflung zu entkommen. Die schönsten Blumen hob ich für das Grab meines Kleinen auf.
    14. April. Samuel hat die Kinder zu seiner Mama gebracht. Ohne Nanny kann ich mich nicht um sie kümmern.
    15. April. Polly ist gegangen. Sie war die letzte. Jetzt bin ich wirklich allein. Abgesehen von ihm.
    16. April. Simms ist wieder hiergewesen. Er hat mich angefleht, das Haus leer zu lassen. Er brachte wieder Weihwasser mit, um es zu versprengen, aber ich habe den Verdacht, daß alle Wohlgerüche Arabiens und selbst Krüge voll der wundersamen Flüssigkeit das Blut nicht fortwaschen können. Ich kann nicht zum Pfarrhaus gehen. Schließlich habe ich ihn fortgeschickt.
    »Joss!«
    Lukes Stimme schallte laut vom unteren Treppenabsatz zu ihr in den Speicher hinauf. »Tom schreit!«
    »Ich komme schon.« Sie legte das Tagebuch in die Schublade der Kommode zurück und verschloß sie. In dem Buch standen noch zwei weitere Einträge, aber plötzlich hatte sie Angst, sie zu lesen. Jetzt konnte sie Toms Stimme ganz deutlich hören. Warum hatte sie sie nicht schon früher wahrgenommen?
    Welches von Lydias Kindern war gestorben? Welches von ihren geliebten Kindern lag in dem Grab auf dem Kirchhof, das sie mit Osterglocken geschmückt hatte?
    Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte sie die Treppe hinab und den Flur zum Kinderzimmer entlang. Mit jedem Schritt wurden die kläglichen Schreie lauter.

    Tom stand mit verzerrtem Gesicht in seinem Bettchen, ganz naßgeschwitzt vor Aufregung und Kummer. Sobald er sie sah, streckte er die Arme nach ihr aus.
    »Tom!« Sie nahm ihn hoch und drückte ihn an sich. »Was ist passiert, mein Liebling?« Sein weiches Haar streifte ihr Gesicht. Es roch nach dem Himbeergelee, das er zum Nachtisch gegessen hatte.
    Wie hatte Lydia es ertragen, ein Kind zu verlieren, eines ihrer geliebten Kinder?
    Sie preßte Tom noch fester in die Arme und merkte, daß sein Höschen feucht war. Langsam beruhigte sich sein Schluchzen, und er kuschelte sich eng an sie.
    »Alles in Ordnung?« Luke steckte den Kopf zur Tür herein.
    Joss nickte. Sie hatte einen Kloß im Hals und konnte einen Augenblick lang nichts hervorbringen. »Ich wickele ihn schnell, und dann komme ich mit ihm nach unten. Es ist sowieso bald Zeit für sein

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