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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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erzählte ihm Geschichten über die anderen Tiere, die er dort vermutlich sehen würde.
    Am Dienstag abend konnte Tom vor Aufregung nicht einschlafen. »Unsere eigene Schuld.« Müde stand Joss vom Küchentisch auf, wo sie gerade zu Abend aßen; zum zweiten Mal an dem Abend krächzte Toms Stimme aus dem Babyphon. »Ich bin an der Reihe. Ich sehe nach ihm.«
    Als sie in den großen Saal kam, hörte sie Toms Schreie direkt aus dem Zimmer und nicht mehr aus der Sprechanlage auf der Anrichte. Mit schnellen Schritten ging sie zum unteren Treppenabsatz, blickte hinauf und tastete nach dem Lichtschalter.
    Der Schatten an der Wand oben an der Treppe gehörte eindeutig einem Mann, der sich drohend zu ihr hinabbeugte. Starr vor Angst blieb sie stehen und umklammerte das Geländer; Toms Schreie gellten in ihren Ohren.
    »Tom!« flüsterte sie gequält, als sie den Fuß auf die unterste Stufe setzte und sich zwang, auf den Schatten zuzugehen. »Tom!«
    Einer der Arme bewegte sich ein wenig, als winke er sie zu sich. Wie erstarrt setzte sie mühsam einen Fuß vor den anderen, ohne den Blick von der Gestalt zu wenden. Lukes Regenjacke hing an der geschnitzten Ahornkugel auf dem obersten Pfosten des Geländers. Das war der Schatten, den sie gesehen hatte.
    Nachts hatte sie einen Alptraum, aus dem sie zitternd und schweißgebadet erwachte. In dem Traum war ein riesiges Metallfaß auf Beinen langsam auf sie zugelaufen. Der Dreispitz obenauf sollte über den bösen Blick seiner Druckknopf-Augen hinwegtäuschen. Die Arme, die wie riesige Büroklammern aussahen, griffen nach ihr; die Mechanik des Fortbewegungsapparats war unter dem glänzenden Aluminiumkörper verborgen. Joss fuhr aus dem Schlaf auf und blieb zuerst reglos liegen, zu erschrocken, um sich zu bewegen; ihr Herz klopfte wie wild. Luke neben ihr stöhnte und ächzte. Sie lauschte angespannt, aber abgesehen von seinem leisen Schnarchen war nichts mehr zu hören. Kein Geräusch von Tom. Kein Geräusch im Haus.
Draußen im Garten schien nicht einmal das leiseste Lüftchen zu wehen.
    Als sie wieder aufwachte, hatte sie rasende Kopfschmerzen. Sie setzte sich auf und griff nach dem Wecker, ließ sich aber sofort stöhnend wieder ins Kissen fallen. Von nebenan hörte sie, wie Lyn Tom anzog und dabei munter mit ihm plauderte. Der kleine Junge lachte fröhlich. Von Luke keine Spur.
    Als die anderen gefrühstückt hatten, wußte Joss, daß sie nicht in den Zoo mitfahren konnte. Ihr drehte sich der Kopf, und vor lauter Müdigkeit konnte sie kaum ein Bein vor das andere setzen.
    »Wir verschieben’s und fahren an einem anderen Tag.« Besorgt beugte sich Luke über sie.
    »Nein«, widersprach sie kopfschüttelnd. »Wir dürfen Tom nicht enttäuschen. Fahrt nur. Ich gehe wieder ins Bett und schlafe. Und dann arbeite ich ein bißchen an meinem Buch. Wirklich. Ich komme gut zurecht.«
    Zum Abschied winkte sie ihnen nach, gerührt von Toms Tränen, als er feststellte, daß seine Mummy doch nicht mitkommen würde. Mit hämmerndem Kopf ging sie wieder ins Haus zurück.
    Als sie aufwachte, war es nach zwei Uhr. Die Sonne war verschwunden, der Himmel grau verhangen. Auf dem Weg in die Küche hörte sie den Wind im Kamin heulen.
    Sie machte sich eine Tasse Tee und ein Brot und blieb lange am Küchentisch sitzen, bevor sie schließlich nach ihrer Jacke griff.
    Am Ufer des Sees hielt sie an, die Hände in den Taschen vergraben, und beobachtete, wie die Windböen die schwarze Wasseroberfläche bewegten. Mit hochgezogenen Schultern starrte sie auf den See und verbot sich den Gedanken an einen kleinen Jungen, der sich mit einem Marmeladenglas voll Kaulquappen auf dem rutschigen Ufer zum Wasser hinabbeugte.
    Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren. Sie blickte über den Rasen, aber es war niemand da. Sie horchte und bemühte sich, andere Geräusche als das Rauschen des Windes in ihren Ohren wahrzunehmen, aber da war nichts.
    Langsam ging sie zum Haus zurück. Noch eine Tasse Tee, und dann würde sie sich wieder an ihr Buch machen. Sie hatte zuviel
Zeit mit Tagträumereien verbracht; sie mußte an ihrem Roman weiterarbeiten.
     
    Sammy!
    Mit der einen Hand auf der Maus, der anderen auf der Tastatur, sah sie auf und lauschte. Jemand lief die Treppe herunter.
    Sammy! Spiel mit mir!
    Mit angehaltenem Atem und auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür.
    »Hallo? Wer ist da?« Ganz langsam drehte sie den Türknauf. »Hallo?« Ihr Blick wanderte durch den Saal die Treppe hinauf, wo die Schatten lauerten.

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