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Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman

Titel: Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine , Ursula Wulfekamp
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kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen; plötzlich bemerkte sie, daß ihr Herz schneller schlug. Ihre Handflächen waren feucht. Sie drückte die Hände fest gegen den Deckel der Truhe, auf der sie saß, und fühlte die beruhigende Festigkeit des Holzes. Die Tür schien Hunderte von Meilen entfernt. Es herrschte eine ungewöhnliche Stille auf dem Dachboden. Das übliche Ächzen und Stöhnen des Gebälks, das leise Raunen des Aprilwindes waren der Stille gewichen.
    »Wer bist du?« In der Leere klang ihr Flüstern grob und harsch. »Wer bist du?«

    Es kam keine Antwort. Die Schatten hatten sich wieder zu einem Gittermuster architektonischer Formen angeordnet.
    Sie schluckte nervös und schob sich von der Truhe hoch, bis sie schließlich aufrecht dastand. Das Tagebuch fiel zu Boden und lag geöffnet, mit dem Rücken nach oben, zu ihren Füßen.
    »Im Namen Jesu Christi, verschwinde!« Ihre Stimme zitterte. Sie stellte fest, daß ihre Finger unbewußt das uralte Zeichen machten, vom Kopf zum Herzen, von einer Schulter zur anderen, das schützende, segnende Kreuz. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, schlich sie zur Tür und starrte dabei unentwegt auf die Wand, wo sie die Gestalt eines Mannes gesehen hatte – oder glaubte, gesehen zu haben. Mit dem Rücken zur Wand schlüpfte sie aus dem Zimmer, dann begann sie zu laufen. Sie rannte durch den ganzen Dachboden, die steilen Stufen hinab, die Haupttreppe hinunter, durch den großen Saal bis in die Küche. Dort ließ sie sich keuchend auf einen Stuhl fallen und vergrub den Kopf in den Armen.
    Allmählich ebbte ihre Panik ab, ihr Atem ging langsamer. Sie rieb sich die Augen mit den Handballen und umschlang dann instinktiv ihren Bauch. In dieser Haltung saß sie noch, als Lyn mit Tom im Kinderwagen hereinkam.
    »Joss?« Lyn ließ alles stehen und rannte zu ihr. »Joss, was ist los? Was ist passiert? Fehlt dir etwas?« Sie legte die Arme um ihre Schwester. »Ist etwas mit dem Baby? Hast du Schmerzen?«
    Mit einem schwachen Lächeln schüttelte Joss den Kopf. »Nein, gar nichts. Mir fehlt nichts. Ich hatte nur ein bißchen Kopfschmerzen und wollte mir eine Tasse Tee machen, und dann ist mir schwindelig geworden.«
    »Ich hole Simon.«
    »Nein!« stieß Joss hervor. Dann wiederholte sie ruhiger: »Nein, Lyn, das ist nicht nötig. Mir geht’s gut. Wirklich. Ich hatte mich hingesetzt und bin zu schnell wieder aufgestanden. Mehr nicht.« Mühsam erhob sie sich und ging zu Tom, um ihn aus dem Geschirr zu befreien und aus dem Wagen zu heben. »So, Tom-Tom, habt ihr einen schönen Spaziergang gemacht?«
    Die Dinge, die sie gehört hatte – die Kinderstimmen, die Stimmen ihrer eigenen Brüder –, hatten absolut nichts mit dem zu tun, was Generationen von erwachsenen Männern und Frauen
in diesem Haus in Angst und Schrecken versetzt hatte. Georgie und Sammy waren erst lange nach dem Tod ihrer Großeltern und Urgroßeltern geboren worden. John Bennet, Lydia Manners – sie konnten Georgies und Sammys Lachen im Dachboden gar nicht gehört haben. Mit Mühe zwang sie sich, den Kessel zu füllen. Niemand anders hatte etwas gehört. Niemand anders fühlte sich unbehaglich. Vielleicht hatte Simon doch recht. Vielleicht war sie mit der Schwangerschaft wirklich neurotisch geworden. Vielleicht hatten die Frauen in ihrer Familie während der Schwangerschaft alle dieselben wilden Phantasien gehabt. Dieser Gedanke kam ihr derart irrwitzig vor, daß sie lächeln mußte; entschlossen stellte sie den Kessel auf den Herd.
    »Bevor ich raus bin, hat David angerufen«, erzählte Lyn unvermittelt. »Ich habe ihm gesagt, wir möchten, daß er uns besucht. Und daß ich glaube, daß er dich aufheitern kann. Zuerst war er ein bißchen abweisend, aber dann hat er zugesagt. Er kommt am Wochenende. Ist das in Ordnung?«
    »Natürlich.«
    »Ich hab’s Luke schon erzählt.«
    »Gut. Wie hat er darauf reagiert?«
    »Okay. Ich habe ihm gesagt, du wärst nicht die einzige, die David mag. Und wir sind nicht alle verheiratet.« Lyns Gesicht hatte etwas Farbe bekommen, und als Joss sie betrachtete, ging ihr plötzlich ein Licht auf. Lyns sonst blasser Teint und der etwas widerwillige Ausdruck waren durch ein Funkeln ersetzt worden, das Joss noch nie an ihr bemerkt hatte. Sie seufzte. Die arme Lyn. David, der gebildete, belesene und anspruchsvolle David, würde sich nie im Leben in sie verlieben.
    Zuerst verlief das Wochenende sehr gut. David brachte für Luke jede Menge Wein mit (»Ich dachte, nachdem

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