Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
wegfahren! Und hattest du vor, mir davon zu erzählen, oder ist das auch so ein plötzlicher Einfall?«
»Sei nicht dumm. Ich erzähle es dir jetzt. Ich war bei den Gowers in Aldeburgh, und sie haben mir vorgeschlagen, ein paar Tage bei ihnen zu wohnen, damit ihr hier Ruhe habt. Dot sagte, sie will sich um Tom kümmern. Sie liebt Kinder.«
»Ah ja. Und was sind das für Leute?«
»Die Gowers. Du weißt doch – Edgar Gower hat mir damals die Adresse von John Cornish gegeben. Er war der Pfarrer meiner Eltern hier.«
»Und warum, wenn ich fragen darf, mußtest du heute morgen so überstürzt zu ihnen, daß du alles stehen und liegen gelassen hast? Das Radio war an, die Hälfte der Lampen brannte, keine Nachricht von dir, die Türen offen! Kannst du dir vorstellen, wie uns zumute war, als wir nach Hause kamen und alles verwaist vorfanden?«
Joss biß sich auf die Unterlippe. »Ach Luke. Das tut mir wirklich leid. Ich wollte einen Zettel schreiben, aber dann …« Sie brach abrupt ab. Sie konnte Luke ihre wild hin und her schwankenden Gefühle nicht erklären, ihre Sehnsucht, dann die Angst und das Grauen, das sie empfunden hatte; sie konnte ihm nicht die Panik beschreiben, die sie befiel, als sie in dem kleinen Wagen saß und an dem Zündschloß herumfingerte. Wie könnte sie ihm das begreiflich machen? »Ich hab’s vergessen. Es tut mir leid«, sagte sie statt dessen. »Es tut mir wirklich leid. Ich wollte euch keinen Schrecken einjagen. Schieb’s auf die schlaflose Nacht. Ich glaube, mein Gehirn hat heute morgen nicht richtig funktioniert.«
Sie warf den schmutzigen Schwamm auf den Tisch und ging zu ihm, um ihm die Arme um den Hals zu legen. »Bitte sei nicht wütend. Ich hatte gehofft, du könntest Tom und mich morgen dorthin fahren. Dann lernst du die Gowers kennen und hast den Wagen hier, wenn du ihn brauchst. Ich komme mit Lyn schon wieder ins reine, mach dir keine Sorgen. Sie braucht diesen Job
genauso, wie wir Lyn brauchen, also glaube ich nicht, daß sie uns einfach mir nichts, dir nichts verläßt.«
»Sei dir da nicht so sicher.« Luke befreite sich aus ihrer Umarmung und wandte sich ab. »Und vergiß nicht – was Gott verhüten möge –, wenn es mit deiner Mutter schlimmer wird, kann Joe sie nicht mehr allein versorgen. Dann wird er Hilfe brauchen.«
»O Luke.« Bedrückt und verwirrt ließ Joss sich auf einen Stuhl sinken; sie fühlte sich schuldig, weil sie kurz daran gedacht hatte, ihn zu korrigieren. Adoptivmutter. Nicht Mutter. Niemals richtige Mutter.
Lukes Gesicht nahm einen freundlicheren Ausdruck an. »Hoffen wir mal, daß bis dahin noch viel, viel Zeit vergeht. Ich bin mir sicher, daß es vorläufig nicht dazu kommt. Auf jeden Fall nicht, bevor das Baby geboren wird. Und du hast recht, Lyn wird sich wieder beruhigen. Also, vielleicht sollten wir jetzt besser mal Pläne schmieden. Am besten mache ich morgen ein paar Stunden frei und fahre dich hin, wenn du das willst. Simon hat ja gesagt, daß du ein paar Tage wegfahren solltest, also ist es vielleicht doch keine so schlechte Idee.«
Katherine! Lieber Herr Jesus, Katherine, verlaß mich nicht …
Keiner von ihnen hörte die Stimme aus dem Echo. Nur Tom blickte in der stillen Küche auf. »Blechmann traurig«, erzählte er gesprächig. Er griff nach seinem Malbuch und warf es gleich wieder auf den Boden.
Luke hatte sich Joss gegenüber hingesetzt. »Du siehst sehr müde aus, mein altes Mädchen«, sagte er sanft. »Es tut mir leid, daß ich dich angeschnauzt habe. Aber manchmal kann Lyn wirklich zur Furie werden.«
Joss lächelte. »Ich weiß. Sie ist meine Schwester.«
Adoptivschwester.
Bekümmert stand sie auf und ging, um den Kessel aufzusetzen. Als sie sich wieder umdrehte, hatte Luke seinen Sohn vom Boden aufgehoben. »Komm, Tom-Tom, jetzt bringen wir Mummy mal ins Arbeitszimmer, und dann gehen wir beide nach draußen und arbeiten ein bißchen im Garten, damit sie in Ruhe ihren Tee trinken kann.«
Joss lächelte. Langsam folgte sie ihnen durch den großen Saal. Auf halbem Weg blieb sie stehen. Überall sonst war es stickig
und heiß, aber hier wirkte es plötzlich sehr kalt. Das messingfarbene, gewittrige Sonnenlicht schien kaum die grauen Steinplatten am Boden zu erreichen. Sie sollte frische Blumen in die Vase geben und ein paar Lampen ins Zimmer stellen, damit es heller wurde.
Katherine! Süße Katherine. Ich brauche dich.
Unbehaglich sah sie sich um. Irgend etwas stimmte nicht. Es war eine Schwingung in der Luft, eine
Weitere Kostenlose Bücher