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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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sich Rosamund häufig vorgekommen, als balancierte sie über einen schmalen Grat mit einem tiefen Abgrund auf beiden Seiten. Jetzt schritt sie forsch voran, und alles fiel ihr leichter.
    Sie wunderte sich über sich selbst. Schließlich war die Karriere ihres entfremdeten Gatten gerade dabei, sich wegen eines schlüpfrigen Skandals in Luft aufzulösen, und er hatte nichts Besseres zu tun, als in ihrem Geisterhaus unterzuschlüpfen. Und ihre berühmten Urgroßeltern schienen in eine vertuschte Mordgeschichte verwickelt zu sein.
    War diese innere Stärke eine Errungenschaft der jüngsten Zeit, ein Resultat der Widrigkeiten, mit denen sie in Colonsay zu kämpfen hatte? Oder war sie schon immer da gewesen, begraben unter Verbitterung und Unsicherheit? Hatte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, endlich zutage zu treten?
    In der Bibliothek war es warm und gemütlich. Mark saß am Fenster. Seine Silhouette hob sich dunkel gegen das Grau des Himmels im Fenster ab. Er presste sein Mobiltelefon ans Ohr. Sonst war es fast dunkel im Zimmer, nur das Feuer spendete neben dem Fenster etwas Licht. Das Dämmerlicht verbarg gnädig die Anzeichen des Alters und der Vernachlässigung, sodass es Rosamund beinahe so vorkam, als erstrahle Colonsay in altem Glanz. Mark drehte sich zu ihr um, doch sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Der Regen prasselte gegen die Scheiben und verwandelte das Grundstück in eine Seenlandschaft. Frederick und sein Team könnten heute nicht arbeiten, selbst wenn sie das gewollt hätten.
    Mit vom vielen Sprechen heiserer Stimme sprach Mark in sein Telefon. Rosamund ging zur Tür.
    »Warte!«
    Sie war gemeint, gab jedoch vor, nichts gehört zu haben, und verließ das Zimmer. In der Eingangshalle atmete sie erleichtert auf. Marks Gegenwart beeinträchtigte sie mehr, als ihr lieb war, und das sollte er auf keinen Fall merken. Vielleicht hätte sie ihn rausschmeißen sollen, anstatt Mitleid mit ihm zu haben. Nach allem, was sie seinetwegen durchgemacht hatte, war er das eigentlich nicht wert.
    Geklapper und Bruchstücke einer Melodie brachten Rosamund zurück in die Gegenwart. Sie blickte ans andere Ende des Flurs, das ruhige Ende. Es war wirklich ruhig dort, sie konnte das trotz des Regens und des Sturms fühlen. Heute würde sie nicht in die Nähe dieses Zimmers gehen. Die Bibliothek war auch tabu, allerdings aus handfesteren Gründen.
    Langsam stieg Rosamund die Treppe empor und wandte sich dem Westflügel zu. Es schien dort ziemlich trocken zu sein, die Planen hielten dem Wetter wohl stand. Trotzdem würde Frederick bald etwas unternehmen müssen. Es konnte nicht ewig so bleiben. Rosamund schritt durch die Zimmer, spürte die Geister der Vergangenheit um sich herum, wie Rauch von einem verlöschenden Feuer. Ihr Haus, ihre Familie, ihre Vergangenheit.
    In diesem Zimmer hatte ihre Großmutter geschlafen. Ada, die Jüngste der Familie. Berties Zimmer musste ganz in der Nähe gelegen haben. Sein Grabstein befand sich ebenfalls auf dem Familienfriedhof. Er war vor seinen Eltern gestorben und noch ein Knabe gewesen, als er auf dem Rückweg zur Schule nach Melbourne von einem Zug überfahren wurde. Ein schrecklicher Unglücksfall. Ada sprach nur selten über ihn. Rosamund hatte sich oft gefragt, ob der Tod von Cosmo und Ambrosine ihr Leben so prägte, dass sie Bertie darüber vergaß. Für einen »Schwächling«, wie sie ihn nannte, hatte sie kein Verständnis. Niemand wäre dagegen auf die Idee gekommen, Ada schwach zu nennen.
    Auf einmal hing wieder der Geruch von Geißblatt in der Luft.
    Rosamund blieb ruckartig stehen. Verschwunden waren die Gedanken an die Vergangenheit. Sie sah sich ängstlich um, versuchte die Schatten zu durchdringen. Ein kalter Luftzug umwehte sie, Rosamund schlang schaudernd die Arme um den Leib. Der Geißblattduft wurde stärker.
    »Was willst du?«, fragte sie angestrengt. »Ich weiß, dass du da bist, Alice. Was willst du?«
    Der süßliche Geruch war nun fast überwältigend intensiv. Er erfüllte Rosamunds Kopf. Ein Gefühl von Platzangst überkam sie, gefolgt von einem Schwall aus Hass und Trauer, Verlangen und Verzweiflung. Ungezügelte Emotionen, die sie fast zu Boden streckten. Wie eine riesige Welle schlugen sie über ihr zusammen, drohten sie zu ersticken. Nach Luft ringend, versuchte Rosamund die Oberhand zu behalten.
    »Alice.« Sie brachte nur ein Flüstern zustande. »Hilf mir, das alles zu verstehen.«
    Das Gefühl des Erstickens schwächte sich ab, schien sich

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