Der Fluch von Colonsay
Vielleicht dachte sie, das wäre der eigentliche Grund, warum Rosamund nicht zur Historischen Gesellschaft gehen wollte.
»Mein Mann hat nichts Unrechtes getan, Sue.«
»Natürlich nicht«, sagte Sue schnell, tauschte aber einen Blick mit ihrer Tochter, der ihre Worte Lügen strafte. »So, hier sind zunächst einmal die Haushaltsbücher, von denen Kerry gesprochen hat. Sehen Sie, aus dem Jahr 1880.«
Sie ähnelten Kassenbüchern und rochen ziemlich muffig. Doch Rosamund war seit ihrer Rückkehr nach Colonsay fast immun gegen solche Gerüche geworden. Die Seiten enthielten Spalten für geleistete Zahlungen, die zugehörigen Namen und die Art der abgelieferten Arbeit. Mehrere Kladden stammten aus den Jahren, in denen Cosmo und Ambrosine in Colonsay gelebt hatten. Eine war von einem Mann namens A. Kirkwood geführt worden, die restlichen trugen Adas Handschrift. Adas Einträge begannen nach ihrer Heirat im Jahr 1917 und reichten fast bis zu dem Datum ihres Todes. Die nüchterne Natur der Haushaltseinträge wurde durch ihre Kommentare über die von ihr Beschäftigten belebt. »Mehr Haare als Verstand«, stand da über einem Namen. Rosamund fragte sich, was die »hochnäsigen Wichtigtuer« von der Historischen Gesellschaft mit diesen Bemerkungen angefangen hätten – schließlich lebten noch Nachkommen dieser Menschen in der Gegend.
»Ich würde gern wissen, wer kurz vor Cosmos und Ambrosines Tod in Colonsay gearbeitet hat«, sagte Rosamund.
»Das ist das Haushaltsbuch für die Jahre 1900 und 1901.« Sue reichte ihr eine Kladde mit Stockflecken.
Rosamund schlug das Verzeichnis der im Mai 1901 gezahlten Löhne auf und fuhr mit dem Finger die Spalten entlang. Da war die Köchin, Mrs Gibbons, die die Liste anführte. Dann folgte eine erkleckliche Anzahl von Namen. Es gab eine Gouvernante, ein Kindermädchen, einen Pferdepfleger, einen Stalljungen, einen Gärtner, eine Küchenmagd und ein Hausmädchen. Das Hausmädchen hieß Alice Parkin und war zwölf Jahre alt.
»O Gott«, flüsterte Rosamund und musterte den Eintrag. Alice Parkin, das braunhaarige Mädchen, die Alice aus Mr Marlings Gemälde. Ein zwölfjähriges Hausmädchen in Colonsay.
»Geht es Ihnen gut, Mrs Markovic?« Rae sah sie neugierig an.
»Ja, sicher.« Rosamund riss sich zusammen. »Es ist sehr bewegend für mich, diese Namen zu lesen.« Ihr war es egal, wenn Rae sie für eine sentimentale Närrin hielt. Besser das, als dass sie die Wahrheit ahnte.
Rosamund wandte sich wieder der Kladde zu und sah, dass Alice nicht lange in Colonsay beschäftigt gewesen war. Nur von Ende 1900 bis 1901. Das war kaum lange genug, um nach ihrem Ableben noch in dem Haus herumzugeistern, oder? Wohin war sie gegangen? Unglücklicherweise gab es keinerlei Hinweise auf ihren nächsten Arbeitgeber.
Rosamund beschäftigte sich immer noch mit Alice’ Eintrag, als sie einen zweiten, vertrauten Namen las. Meggy, das Küchenmädchen. Meggy McLauchlan, vierzehn. Und ein Stück weiter unten stand Jonah McLauchlan, Pferdepfleger, achtundzwanzig Jahre alt. Schwester und Bruder.
»Kennen Sie einen Ort namens Tinyutin?«, hörte sie sich fragen.
Sue dachte nach. »Nein, ich glaube nicht.«
»Irgendwo am Murray River. Zumindest in den 1920ern.«
»Rae, hol doch mal den Atlas.«
Rae gehorchte und nahm das schwere Buch von dem Regal neben dem Fernseher. Während sie im Register nach dem Ort suchte, zeigte Sue Rosamund weitere Dokumente: einen langen unkritischen Beitrag in einem Buch über die Pioniere in der Port Phillips Bay, ein Abdruck der Landabtretungsurkunde an die Cunninghams für den Besitz auf der Bellarine-Halbinsel, dazu eine später ausgestellte Urkunde für Land im Süden von Neusüdwales, ein Nachruf auf Cosmo, ein Foto von dem Staatsbegräbnis mit einem schwarzen Rand. Die Historische Gesellschaft konnte stolz auf ihn sein.
»Da ist es.« Rae rutschte herüber und hielt dabei das Buch mit dem Arm offen. »Da. Nördlich des Murray, in Neusüdwales.«
Ein winziger Punkt. Tinyutin. »Ich glaube, die McLauchlans sind nach Cosmos Tod dort hingezogen«, sagte Rosamund. »Meggy und ihr Bruder. Wissen Sie etwas über die beiden?«
Sue Gibbons schüttelte den Kopf. »Nein, bei Meggy McLauchlan klingelt bei mir nichts.«
»Moment bitte, hatte Cosmo nicht auch dort Land erworben?«
Sie zogen noch einmal die Landabtretungsurkunden heraus und versuchten, den Besitz zu lokalisieren – ohne Erfolg.
»Die McLauchlans könnten von Cosmos Besitz am Murray gekommen sein«,
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