Der Fluch von Colonsay
sagte Sue nachdenklich. »Das hat man damals häufiger so gemacht.«
Rosamund griff nach einem schmalen Prospekt über die Heimstatt für die Veteranen der Vereinigten Streitkräfte. Der Anblick der alten Männer in roten Mänteln ließ sie zusammenzucken. Der treue Überbringer der Rosen für Ambrosines Grab hatte so ähnlich ausgesehen. Natürlich gab es auch Fotos von Cosmo und Ambrosine bei verschiedenen offiziellen Anlässen. Auf einem schüttelte Cosmo die Hand des Bürgermeisters. Cosmo war ein gut aussehender, stattlicher Mann gewesen; Rosamund konnte nicht glauben, dass er zu einer brutalen Tat fähig sein sollte.
»Kann ich das für einen oder zwei Tage mitnehmen?«, fragte Rosamund und hielt das Haushaltsbuch für 1900 und 1901 in die Höhe.
Sue dachte kurz nach und stimmte dann zu. »Bevor Sie gehen, möchte ich Ihnen noch den Stammbaum meines Mannes zeigen«, fügte sie hinzu. Sie entrollte ein großes Stück Papier und hob es hoch. Der Stammbaum war sehr fein ausgearbeitet.
»Sehen Sie«, sagte Rae. »Da bin ich und da ist mein Paps, das da ist sein Vater und das da die Köchin, für die Sie sich interessieren.«
Rosamund beugte sich über den Stammbaum. Die Köchin Dorothy Sewell hatte Arthur Gibbons geheiratet und war im Alter von vierzig Jahren Witwe geworden. Der Ehe entstammten drei Kinder. Im Alter von fünfundfünfzig hatte sie in Melbourne einen gewissen Mr Harry Simmons geheiratet, dessen Berufsbezeichnung »Schausteller« lautete.
Rosamund blickte überrascht auf. »Aber war nicht Harry Simmons der Name des Mannes, den man in dem Sumpf fand?«
Sue und Rae sahen sich an. »Nein, davon weiß ich nichts«, antwortete Sue. »Wo haben Sie das her?«
»Von Kerry. Sie sagte, meine Großmutter sei sich sicher gewesen, dass der Tote aus dem Sumpf Harry Simmons war, ein Schausteller. Er lebte in Colonsay, als sie ein kleines Mädchen gewesen ist. Sie erinnerte sich genau. Meine Großmutter hat mit den Behörden darüber gesprochen.«
»Nun, das kann nicht sein, oder?« Rae lachte. »Erinnerst du dich noch, dass Oma immer erzählte, was für ein komisches Paar ihre Mutter und der alte Harry gewesen waren? In dem Alter noch miteinander durchzubrennen. Nach Melbourne. Da war die Köchin so viele Jahre lang eine Respektsperson – und dann so was.«
»Ich erinnere mich, Rae«, sagte Sue. »Mich wundert es nur, dass du das tust.«
»An die interessanten Sachen erinnere ich mich immer.«
Sue durchsuchte einen Aktenordner und zog einen vergilbten Zeitungsausschnitt heraus. »Das könnte Sie interessieren.«
Rosamund nahm ihn und warf einen Blick darauf. Es ging um die Leiche im Sumpf, aber sie war nicht willens, sich ablenken zu lassen. »Also hat Harry Simmons die Köchin geheiratet und ist mit ihr nach Melbourne gegangen?«
»Genau.«
»Was ist mit den anderen Dienstboten? Haben Sie etwas darüber gehört, was mit denen passiert ist? Zum Beispiel mit Alice Parkin?«
Sue runzelte die Stirn. »Alice Parkin? Es haben Leute namens Parkin in unserer Gegend gewohnt, aber das ist lange her.«
»Vielleicht könnten Sie der Sache gelegentlich nachgehen, wenn es Ihre Zeit erlaubt? Ich wüsste wirklich gern, ob Alice von hier stammte und wohin sie danach gegangen ist. Mein Interesse gilt eigentlich allen Dienstboten, die in der Zeit von Cosmos Tod in Colonsay beschäftigt waren.«
Sue Gibbons sah überrascht aus, nickte aber. »Mach ich, wenn Sie das möchten.«
Rosamund spürte, dass sie eine sinnvolle Begründung brauchte. »Ich will vielleicht ein Buch darüber schreiben.«
Volltreffer. Sues Augen begannen zu leuchten.
»Das wäre super«, rief Rae. »Ein Buch über Ambrosine und Cosmo.«
»Einen Roman?«, fragte Sue.
»O nein, eine Art Tatsachenbericht. Deswegen brauche ich auch alle Informationen über die Dienstboten, die ich bekommen kann.«
Eine Stunde später, nach dem Genuss von Tee und Keksen, fuhr Rosamund wieder ab. Die Haushaltsbücher lagen auf dem Sitz neben ihr. Ihre Ohren klingelten von all den guten Wünschen und Hilfsangeboten. Sie sollte eigentlich ein schlechtes Gewissen wegen der Lügen haben, aber irgendwo auf halbem Weg zwischen der Bekanntgabe und ihrer Verabschiedung hatte sie wirklich begonnen zu glauben, dass sie dieses Buch schreiben würde. Nicht nur über Ambrosine und Cosmo, auch über Alice – und darüber, was sich ereignet hatte, seit sie selbst nach Colonsay gekommen war.
Mark würde überaus erfreut sein.
Rosamund zog sich zum Abendessen um. Ihr einziges
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