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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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gefragt, wie Cosmo als Junge gewesen war, aber sie traute sich nicht. Ihr Vater würde ihr wahrscheinlich sowieso nicht antworten, sondern nur sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ihre Eltern sprachen nie über interessante Themen, zumindest nicht in Gegenwart der Kinder.
    »Wie sind die Stiefel, Alice?«, fragte er, als sie sich verabschiedete.
    Das Lächeln auf ihrem Gesicht fühlte sich falsch und gezwungen an. »Sehr gut, Vater, danke.«
    »Pfleg sie gut, hörst du?«
    »Das mache ich, Vater.«
    »Du kannst dich verdammt glücklich schätzen, Alice, dass du bei einer so feinen Familie in Dienst bist. Trittst in deines Vaters Fußstapfen, was?« Er tätschelte ihre knochige Schulter. Das war der größte Liebesbeweis, den er kannte.
    Auf ihrem Rückweg nach Colonsay kam Alice am Alten Soldatenheim vorbei. Zumindest kannte man es hier in der Gegend unter diesem Namen. Sein offizieller Titel lautete »Heimstatt für die Veteranen der Vereinigten Streitkräfte«. Es war in den 1890ern errichtet worden, auf Cosmo Cunninghams Bestreben hin, Englands ausgemusterten Helden einen überseeischen Zufluchtsort zu bieten, an dem sie ihre alten Tage bequem verbringen konnten. Für seine Bemühungen war ihm eine Auszeichnung verliehen worden: ein Schwert. Es hing in der Bibliothek. Alice konnte sich an die Grundsteinlegung nicht mehr erinnern. Sie war damals ein Baby gewesen. Es hatte eine große Feier gegeben, der Gouverneur war eigens mit dem Dampfer Lady Loch über die Bucht herüber aus Melbourne gekommen.
    Das Alte Soldatenheim war ein Ziegelbau mit einer breiten umlaufenden Veranda. Es besaß ringsum einen großen Garten, in dem alle Veteranen gern arbeiteten, die nicht durch ihr Alter oder eine Verwundung davon abgehalten wurden. Ein alter Soldat harkte ein Beet mit Chrysanthemen und entfernte das Unkraut zwischen den Reihen, als Alice vorbeiging. Er sah auf, und sie erkannte Sergeant Petersham, der im Krimkrieg gedient hatte. Er war einer der Nutznießer von Ambrosines Wohltätigkeit. Im vorletzten Winter war er schwer erkrankt; sie hatte ihn besucht und ihm etwas von Mrs Gibbons Brühe gebracht. Zu Weihnachten hatte sie ihm einen neuen roten Mantel und einen neuen Dreispitz geschenkt. Als Petersham wieder genesen war, stapfte er nach Colonsay hinüber, um seine Aufwartung zu machen. Steif wie ein Brett hatte er im Empfangszimmer gesessen. Ambrosine hatte Tee in zierlichen Tässchen ausgeschenkt und über das Wetter geplaudert.
    Seitdem war er ihr vollkommen hörig.
    Es verwunderte Alice, wie Männer nur so blind sein konnten. Tapfere alte Soldaten wie Petersham, die so viel menschliches Leid und Brutalität erfahren hatten, sollten eigentlich durch Ambrosines oberflächliche Schönheit hindurch auf ihr selbstsüchtiges Herz sehen können. Das galt aber auch für die anderen Männer. Cosmo, Mr Marling, sogar Bertie, der sich weigerte, seine Mutter dafür zu tadeln, dass sie ihn nicht vor dem Internat bewahrt hatte.
    Er war dort schrecklich unglücklich, Alice las das aus seinen Briefen. Er wollte wieder nach Hause. Das wusste seine Mutter doch hoffentlich? Es machte allerdings nicht den Anschein, als ob sie das kümmerte. Sie saß immer noch eifrig für Mr Marlings Porträt Modell, was sich endlos hinzuziehen schien. Alice zählte die Tage bis zu den Ferien. Sie betete dafür, dass es Bertie gelingen würde, seine Mutter umzustimmen, sodass sie ihn nicht wieder dorthin zurückschickte.
    Alice hatte gehofft, mit einem Nicken und einem netten Lächeln am Alten Soldatenheim vorbeizukommen, aber Petersham hatte sie mit rauer Stimme angesprochen. »Sag Mrs Cunningham, ich werde ihr die schönsten Chrysanthemen rüberbringen.« Dabei deutete er auf die bunten Blüten.
    »Erzähl’s ihr doch selbst«, murmelte Alice, aber sie lächelte und nickte weiterhin.
    »Ist sie wohlauf, Mädel?«
    »Alles bestens, Sir.«
    »Ah, das ist großartig. Wirklich großartig.«
    Alice ging weiter über die staubige Straße, bis ihre drückenden Stiefel und der Saum ihres grauen Rocks komplett mit einer dünnen Schicht brauner Erde bedeckt waren. Der Wind zupfte Strähnen aus ihrem Haarknoten und wehte ihr die Haare in die Augen. Sie blinzelte, damit sie nicht mehr tränten. Die Luft war kühl an diesem Tag, nicht ungewöhnlich so spät im Herbst.
    Cosmo befand sich wieder auf Reisen, wurde aber nächste Woche zurückerwartet. Mrs Gibbons hatte bereits ein königliches Mahl geplant. Wie sie den beiden Mädchen sagte,

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