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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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schüttelte langsam den Kopf, als könnte er das Gehörte kaum glauben. »Ich habe nie wieder in meinem Leben eine Stimme wie deine gehört. Nirgends. Du hast eine alte Blues-Nummer gesungen, dabei hat damals jeder Heavy Metal gehört. Du kamst mir vor wie aus einer anderen Welt.«
    »Na ja«, Rosamund zuckte mit den Schultern und fühlte sich auch ein wenig geschmeichelt. »Ich war schon immer anders. Die Band habe ich nach dem ersten Hit verlassen, noch bevor das Album rauskam. Dave hat mir das nie verziehen. Er wechselt die Straßenseite, wenn wir uns zufällig begegnen.«
    Stille. Sie wusste nicht, warum sie ihm das erzählt hatte. Heute war anscheinend ein Tag zum Beichten.
    Gary wandte sich wieder um und sah sie an. »Es gibt jeden Samstagabend im Pub einen Talentwettbewerb. Nichts Ernstes! Der Gewinner bekommt ein Freigetränk.«
    Sie schüttelte schon den Kopf, bevor er seinen Satz richtig beendet hatte. »Ich habe dir gesagt, ich singe nicht mehr.«
    »Schade. Wenn du deine Meinung ändern solltest …«
    Auf seinem Weg zum Haus zurück schweifte Rosamunds Blick über ihn hinweg. Colonsay hob sich dunkel gegen den hellen Himmel ab, die Fenster milchig und blind, das Dach hell gemustert, wo die Ziegel entfernt worden waren, wegen der neuen Dachlatten. Es erinnerte sie an einen Patienten auf dem Operationstisch, dessen Bauchdecke aufgeklappt und dessen Rippen freigelegt worden waren.
    Der Gedanke an einen öffentlichen Auftritt, daran, ihre Unzulänglichkeit und Verletzlichkeit den Blicken fremder Menschen auszusetzen, war mehr, als sie ertragen konnte.
    »Nein, Gary. Ich singe nicht mehr, und auch sonst halte ich mich zurück.«

7
    Es war ein arbeitsreicher Tag gewesen. Alice hatte keine Zeit gefunden, auf den Dachboden zu steigen und nach Berties Buch zu suchen. Am Vormittag war Mr Marling erschienen, um letzte Hand an Ambrosines Porträt zu legen. Danach rief Ambrosine den gesamten Haushalt zusammen, damit er allen eine Neuigkeit verkünden konnte: Der Premierminister hatte bestimmt, dass die konstituierende Sitzung des Staatenbundparlaments in einem Gemälde verewigt werden sollte, und Mr Marling war für diese Aufgabe auserkoren worden. Das bedeutete Arbeit für Monate, ja, vielleicht sogar für Jahre. Er würde Porträts aller maßgeblich Beteiligten malen und sie dann auf einer riesigen Leinwand zusammenfügen. Dieses Werk würde sicher dafür sorgen, dass sein Name in die Geschichte eingehen werde, meinte Mr Marling.
    Mrs Gibbons stieß nach dieser Ankündigung einen unterdrückten Schrei aus. Meggy packte Alice’ Arm, sie wurde von unterdrückten Lachanfällen geschüttelt. Ada tänzelte hinüber zu Mr Marling und sah zu ihm hoch. Ihr blonder Pferdeschwanz hing kerzengerade auf der Mitte ihres Rückens nach unten, sodass sie von hinten aussah wie ein Miniatur-Chinese.
    »Komme ich auch mit aufs Bild?«, fragte sie.
    Mr Marling lachte, Ambrosine dagegen lächelte nur. Wie stolze Eltern, schoss es Alice durch den Sinn.
    »Vielleicht sollten wir darüber nachdenken«, sagte Mr Marling. »Oder würden Sie eventuell ein Einzelporträt vorziehen, Miss Ada?«
    Ada klatschte in die Hände.
    »Ja, ja! Ein ganz großes.«
    »Die kleine Miss Ada wird mal genauso schön wie ihre Mutter.« Mrs Gibbons seufzte auf, als sie in die Küche zurückgingen. »Ein bezauberndes Kind.«
    Meggy verdrehte die Augen, was die Köchin prompt sah. »Der Hausherr wünscht seine Zwiebeln zu speisen«, sagte sie mit einem kalten Lächeln zu Meggy. »Wir brauchen eine Menge davon.«
    Nachmittags kam dann Cosmo wie erwartet zurück, brachte aber unerwartete Gäste mit. Zimmer mussten geputzt, Betten gemacht und mehr Essen vorbereitet werden. Alice arbeitete nach dem Abwasch ohne Pause bis spät in die Nacht. Alle anderen waren schon im Bett. Sie schleppte sich mit schmerzenden Füßen die Hintertreppe hinauf, ging in den Westflügel und kletterte über die Stiege zum Dachboden.
    Es war totenstill dort oben. Die Flamme ihrer Kerze warf flackernde Schatten. Kaltes Mondlicht fiel durch die Dachfenster. Sie zwängte sich an den alten Möbeln und dem ausgestopften Pfau mit den glänzenden Augen vorbei zu Berties Versteck. Alice kauerte sich zusammen, hörte die Mäuse in den alten Zeitungen rascheln und den Ruf einer Eule, die draußen in den Bäumen saß. Da war das Buch, wie sie vermutet hatte. Alice legte sanft ihre Hand auf den Umschlag und schloss die Augen. Sie stellte sich Berties Gesicht vor, rund und mit Brille, doch lieb und

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