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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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Alice griff nach dem Geldschein, zerdrückte ihn in der Hand und wandte sich zur Tür. Dort erinnerte sie sich im letzten Moment an die Etikette und machte einen Knicks.
    Ambrosine lachte lauthals, während die Tür sich schloss.
    Zorn wallte in Alice auf, doch sie drängte ihn zurück. Sie hatte nicht um das gebeten, was sie wirklich haben wollte. Dass Bertie wieder nach Hause kommen durfte. Ihre Füße hatten sie ausgetrickst. Zumindest bekommt Bertie sein Buch, sagte sie sich schuldbewusst, und bald würde er nach Hause kommen. Dann konnte sie ihm alles erzählen.
    Nein. Genau das konnte sie nicht. Ambrosine war Berties Mutter, er würde nie schlecht von ihr denken. Alice musste ihre Geheimnisse für sich behalten, und jetzt sah es so aus, als gälte das auch für Ambrosines Heimlichkeiten.
    ***
    »Schaut aus wie eine Blume.«
    Kerry betrachtete mit gerunzelter Stirn den Knopf; ihr Kopf war von der Ofenhitze gerötet. Sie hatte Pökelfleisch gekocht, um Brote für die Arbeiter damit zu belegen. Wie zu groß geratene Babys wurden sie von ihr im Stundentakt abgefüttert. Rosamund hatte keine Geduld für diese Dinge, verstand aber, dass Kerry sich nützlich machen musste. Für die Arbeiter zu sorgen gehörte dazu.
    »Es scheint Elfenbein zu sein, ist aber schon ziemlich ausgebleicht«, fügte Rosamund hinzu. Sie erzählte nichts davon, wo und wie der Knopf diesmal aufgetaucht war. Kerry wusste ohnehin nichts von seinem Verschwinden.
    »Wir könnten es mit Watte und Methylalkohol versuchen. Ganz vorsichtig natürlich.« Kerry sah sie von der Seite an. »Soll ich es probieren?«
    »Ja, gut. Ich nehme inzwischen ein Bad. Ich bin total verdreckt.«
    Kerrys Gesicht wurde auf einmal ganz betroffen. »Das geht nicht. Das Wasser ist abgestellt.«
    Niedergeschlagenheit machte sich in Rosamund breit. Sie überließ Kerry den Knopf und ging in die Eingangshalle. Dort stand sie und kämpfte mit den Tränen. In den beiden rückwärtigen Zimmern des Hauses wartete Arbeit auf sie – die Hinterlassenschaften vom Dachboden. Geheimnisse, die nur sie lösen konnte. Das war ihr klar.
    »Tja, jetzt bin ich sowieso schon dreckig«, sagte sie sich. »Da macht ein bisschen zusätzlicher Staub auch nichts mehr aus.«
    Es wurde langsam Zeit, Licht in das Dunkel zu bringen.
    ***
    Das vollendete Porträt wurde feierlich und unter Anteilnahme des gesamten Haushalts im Salon aufgehängt. Die Leute schnappten förmlich nach Luft, als sie es sahen. Während sie Mrs Gibbons Lobeshymnen und Cosmos freudigem Gelächter lauschte, fragte sich Alice, wie sie nur alle so blind sein konnten. Um solch ein Gemälde zu erschaffen, musste der Maler den Gegenstand seiner künstlerischen Betrachtung sehr gut kennen – intim kennen. Warum sah das keiner außer ihr?
    Es war ein großes Bild und bedeckte die gesamte Wandfläche über dem Kaminsims. Der Hintergrund war ziemlich dunkel gehalten – Alice verstand nicht, warum Mr Marling immer von mehr Licht gesprochen hatte, wenn dann so etwas Dunkles dabei herauskam.
    Die zentrale Figur, Ambrosine Cunningham, saß auf einem Doppelsitzer-Sofa und lehnte sich über ihren Arm nach vorn, auf den Maler, auf Mr Marling zu. Sie trug eine hochgeschlossene Bluse aus hellem, seidigem Stoff, deren Falten und Wellen ihren vollen Busen mehr enthüllten als verbargen. Ihre Frisur befand sich in angedeuteter Unordnung, lockige Haarsträhnen hatten sich gelöst und hingen in ihre Stirn. Ihre Wangen waren sanft gerötet und die Lippen leicht geöffnet, als ob sie etwas sagen wollte. Sie schien aus dem Porträt in den Raum zu blicken. Der Ausdruck ihrer Augen war jedoch schwer zu deuten.
    Alice vermeinte, Angst darin zu erkennen. Aber wie konnte das möglich sein? Wovor sollte Ambrosine sich fürchten?
    ***
    Rosamund hatte keine andere Wahl, sie musste, im wahrsten Sinne des Wortes, ganz vorn beginnen. Vorn an der Tür. Solange sie im unmittelbaren Eingangsbereich keinen Platz geschaffen hatte, konnte sie nicht weiter ins Zimmer vordringen, ohne auf Dingen herumsteigen zu müssen, die vielleicht ihr Gewicht nicht trugen.
    Das Erste, was sie herauszog, war eine hölzerne, senfgelb lackierte Puppenwiege. Das Bettzeug war vollkommen zerfressen und stank nach Mäusen. Mit einem angeekelten Gesichtsausdruck zerrte sie sie in die Eingangshalle.
    Wieder zurück im Zimmer, richtete sie ihren Blick auf die Flügelfenster. Es war heller Nachmittag, draußen schien die Sonne. Keine Geistwesen, kein Mädchen mit glattem braunem Haar, kein

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