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Der Fluch von Colonsay

Titel: Der Fluch von Colonsay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaye Dobbie
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alt sind. Enderby hatte in seinen jungen Jahren irgendeinen Posten bei der Regierung inne. Seine Position war natürlich nicht so einflussreich wie die von Cosmo Cunningham, aber vielleicht begann damals Enderbys Interesse. Er sonnte sich im Glanz des fremden Ruhms, erst in Cosmos, dann Adas und jetzt in deinem.«
    »Meinem?«
    Gary hob eine helle Augenbraue. »Warum nicht? Du bist eine Cunningham und außerdem die Frau von Mark Markovic, einem heißen Anwärter auf das Amt des nächsten Premierministers.«
    »Enderby ließ sich sehr gern nach Colonsay einladen«, fuhr er fort. »Er nahm mich mit, weil das für ihn eine Art Belohnung war. Meine Zurückhaltung hat er nie verstanden, nicht verstehen wollen. Sicherlich hat er nie etwas Ungewöhnliches bemerkt. Ich erzählte ihm ein paarmal von den Dingen, die ich gesehen hatte. Aber er schätzte es überhaupt nicht, mit Überraschungen irgendwelcher Art konfrontiert zu werden. Vielleicht dachte er, ich hätte nur eine lebhafte Fantasie oder würde Lügenmärchen erzählen. Jedenfalls ging er diesem Thema möglichst aus dem Weg. Also erzählte ich ihm irgendwann nichts mehr. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass ich dieses Kreuz allein tragen musste. Damit hatte ich eine weitere Sache, die mich von allen anderen Kindern unterschied.«
    Ein Funke der Erkenntnis durchzuckte Rosamund, doch sie schwieg.
    »Einmal war ich allein in der Bibliothek, als ein Mann erschien. Er ist einfach so aus dem Nichts aufgetaucht und saß in einem der Ledersessel. Den Sessel konnte ich durch ihn hindurch noch erkennen. Er hatte einen altmodischen Anzug an, mit hohem Kragen und Weste. Hätte viktorianisch sein können, denke ich. Ich verstehe nicht viel von historischer Kleidung. Und die Männermode hat sich seitdem sowieso nicht so sehr geändert, oder? Er hatte helles Haar und war schon völlig ergraut. Und er schien mich nicht zu bemerken, im Gegensatz zu dem braunhaarigen Mädchen, das du gesehen hast. Er sah aus wie auf einer Fotografie. Ich erkläre mir diesen Vorfall immer als eine Art Falte im Zeitablauf oder sage mir, dass vielleicht der liebe Gott die falsche Filmrolle erwischt und eine Art himmlischer Verwirrung angerichtet hat.«
    »Hast du herausgefunden, wer er war?«
    Gary lachte. »Meine Güte, nein. Ich war froh, als er verschwand, und bin fortgelaufen. Danach waren mir die Besuche in Colonsay noch mehr zuwider.«
    »Und ich dachte, du würdest mich nicht mögen.«
    Seine Lachfältchen vertieften sich, als er lächelte. »Du warst ja auch nicht gerade wild auf mich.«
    »Stimmt. Aber wenn ich davon gewusst hätte, wenn du mir etwas erzählt hättest …«
    Gary schüttelte den Kopf. »Damit du mich ausgelacht hättest? Nein, wirklich nicht.« Er hielt inne, und sein Blick verriet, dass er in die Vergangenheit zurückgekehrt war. »Einmal habe ich eine Frau weinen hören. Sehr traurig und richtig herzerweichend, wie ich es später nie wieder gehört habe. Und einmal suchte ich dich hinten im Garten. Du hast dich dort immer versteckt, weißt du noch? Da wurde ich verfolgt. Ich konnte niemanden sehen, hörte aber Schritte und das Rascheln der Blätter. Ziemlich gespenstisch war das. Ich bin davongerannt, so schnell ich konnte, und erwartete die ganze Zeit, eine eiskalte knochige Hand auf meiner Schulter zu spüren. Wie von einem Skelett, verstehst du?«
    Rosamund ließ ihren Zigarettenstummel auf den Boden fallen und trat ihn sorgfältig aus. Die Anregung des Nikotins verflüchtigte sich schon wieder. Sie schaute zurück zum Haus. Es sah genauso verwunschen aus wie viele Geisterhäuser in Märchen, Sagen und Erzählungen.
    Gary schien das nicht zu bemerken. Er steckte in seiner unglücklichen Jugend fest.
    »Doch solche erschreckenden Vorfälle waren rar, und es lag immer viel Zeit dazwischen, Gott sei Dank. Am meisten belastete mich, wie das ganze Haus sich anfühlte.«
    »Was meinst du mit ›anfühlte‹?«
    Zum ersten Mal musste Gary nach den richtigen Worten suchen. »Es war einfach so ein Gefühl. Ich weiß auch nicht, wie ich dir das beschreiben soll.« Er dachte nach und biss sich dabei in die Lippe. »Als ich in der Psychiatrie war … Bist du schon mal in einer psychiatrischen Klinik gewesen? Dort gibt es alle möglichen Fälle – von den leichten mit einem Nervenzusammenbruch wie ich bis zu den schwer kranken Patienten. Jedenfalls habe ich mir dort immer vorgestellt, ich wäre in einer Art Werkstatt für Spielzeuge, wo kaputte Sachen wieder heil gemacht werden.

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