Der Fluch
auf die Bäume hinter mir. Sie schwanken im Wind hin und her, als seien sie lebendig. Sie scheinen mich anzusehen. Sie flüstern ihre Warnungen mit leichtem Rauschen in mein Ohr.
So etwas, Rose, nennt man dann wohl Verfolgungswahn. Stell dir einfach vor, dein Leben ist nichts anderes als eine Realityshow. Alle Probleme, Schwierigkeiten sind nur Fake. Sie stehen in einem Drehbuch, das jemand anders schreibt.
Mein Herz läuft auf Hochtouren. Und ohne groß zu überlegen, starte ich durch. Ich laufe so schnell, wie der weiche Waldboden es zulässt. Immer wieder knicke ich um, versuche, das Gleichgewicht zu halten, und stolpere mehr, als dass ich renne. Und dann höre ich es tatsächlich.
Ich bleibe nicht stehen, ich drehe mich nicht um, dennoch bin ich sicher, dass ich mich nicht täusche.
Äste knacken.
Ein Rascheln.
Dumpfe Schritte.
Jemand rennt – wie ich.
Und im nächsten Augenblick stolpere ich über eine Wurzel auf dem Weg. Meine Arme rudern in der Luft, ich stolpere mehrere Schritte nach vorne. Ich kann mich schreien hören, verliere das Gleichgewicht, spüre, wie ich falle. Die Hände ausgestreckt, versuche ich, mich aufzufangen, doch es ist zu spät.
Ich bekomme gerade noch mit, wie mein Kopf mit der linken Schläfe auf einem Stein aufschlägt.
17. Rose
Als ich die Augen wieder aufschlage, zieht eine dunkle Wolke über mich hinweg, die das letzte graue Tageslicht verschluckt. Ich schwebe zwischen Tag und Nacht. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich befinde mich in der Dämmerung meines Bewusstseins und wie alles, was die letzten Stunden passiert ist, fühlt es sich seltsam irrational an.
Nur langsam wird mir klar, dass ich für einige Minuten bewusstlos war. Und ich habe Mühe, mich aus dem Zustand der Betäubung zu befreien.
Das Einzige, was ich wirklich begreife, ist der Wald um mich herum. Der Wind, der sacht über mich hinwegstreift. Die Bäume, die sich über mich neigen. Der leichte Regen, der wieder eingesetzt hat und leise, so leise auf das Blätterdach trommelt. So möchte ich liegen bleiben und nichts denken. Die Stille soll meine Gedanken einfach verschlucken.
Doch da höre ich Schritte, die sich eilig nähern. Aber kein Gefühl der Beruhigung stellt sich ein. Ich bin schon zu sehr im Zustand der Panik gefangen. Wobei – das stimmt nicht. Diese panische Starre betrifft nur meinen Körper, wohingegen mein Verstand sich verzweifelt bemüht, sich daraus zu befreien. Er schickt klare Signale. Ich muss aufstehen. Meinem Verfolger gegenübertreten.
Ich hebe den Kopf und lasse ihn wieder sinken.
Alles, was ich erkenne, ist eine Gestalt im Regen, die sich über mich beugt. Alles, was ich höre, ist eine Stimme, die sich mit dem Regen vermischt, und Worte, die immer wieder vom Wind fortgetragen werden. Alles, was ich spüre, ist die Hand, die unter meinen Kopf fasst und ihn in die Höhe hebt. Unwillkürlich spanne ich die Beine an, bereite mich darauf vor, mich zu wehren. Und offenbar funktioniert mein Adrenalinhaushalt. Ich schaffe es, die Hand, die über meine nackte Kopfhaut streift, wegzustoßen.
»Du bist verletzt«, höre ich jemanden murmeln.
Finger, die meine Stirn berühren. »Und du blutest.«
Und tatsächlich spüre ich jetzt, wie etwas Feuchtes meine Schläfe hinunterläuft. Mein Gesicht brennt wie Feuer. Der Schmerz kommt schnell und heftig.
»Wie gut, dass ich dir gefolgt bin.«
Diese Stimme. Sie ist mir nicht vertraut, aber ich kenne sie. Es gibt keine Höhen und Tiefen in der Modulation, sie klingt merkwürdig flach.
»Ich wusste, du brauchst jemanden, der auf dich aufpasst.«
Und plötzlich wird es mir klar. Langsam wird das Gesicht über mir deutlich und nimmt Konturen an.
Es ist George. George Tudor, der sich über mich beugt. Mit einem Gefühl des Schauderns richte ich mich auf. Versuche, Abstand zwischen uns zu schaffen, doch er lässt es nicht zu.
»Nein, du solltest das nicht tun.«
»Was?«, krächze ich.
»Allein hier draußen sein. Es wird doch schon dunkel.« Seine kalten, feuchten Finger berühren meinen Arm. Wieder weiche ich zurück. Wieder kommt er näher.
Sein Gesicht leuchtet blass in der Dämmerung und ich frage mich in einem Anfall von Hysterie, ob er keine Angst hat, dass sein Anzug hier draußen nass wird.
»Das macht mir nichts. Ich fürchte mich nicht …« Ich stammele mehr, als dass ich spreche. Es klingt nicht wirklich überzeugend. Und er geht auch nicht darauf ein.
»Siehst du? Wie gut, dass ich dir gefolgt bin, Rose.«
Ein Lächeln
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