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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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nicht ausreichte, um ihn vollkommen auszuleuchten, offenbarte sich mir nicht sofort seine Bedeutung und dennoch hatte ich dasselbe Gefühl, wie wenn ich die Schwelle zu einer Kirche, einer Kathedrale übertrat.
    Dass ich mich darin nicht täuschte, konnte ich bald feststellen. Ich schritt, die Fackel weit von mir gestreckt, den ganzen Raum ab und begegnete aus Stein gehauenen Statuen, die die Wände bedeckten und an Heiligenfiguren erinnerten.
    Ich hatte Bilder von den Pyramiden gesehen und begriff sofort, dass ich mich in einer Grabkammer befand. In diesem Augenblick schloss sich die Mauer hinter mir und das Licht der Fackel erlosch.
    Dead Valley, am Mittag Die Kälte der letzten Tage hat sich etwas gemildert und die Sonne dringt durch die Stoffbahnen des Zeltes. Ich fühle mich etwas besser, kräftiger und bin fast so weit aufzustehen. Doch habe ich meinen Bericht noch nicht abgeschlossen.
    Dort unten in dem Raum erlebte ich vollkommene Dunkelheit und vollkommene Stille. Die Gewissheit, dass ich allein war mit den Toten, ließ zum ersten Mal so etwas wie Angst aufkommen, dass die Legenden auch mich treffen könnten. Ich würde verschwinden wie all die anderen, die hoch ins Tal gekommen waren, um nie wieder zurückzukehren.
    Und wäre nicht Coyote mein Führer gewesen, der sich fest an mich drückte und mir das Gefühl der Einsamkeit nahm, wäre ich wohl verzweifelt. Doch dann erinnerte ich mich wieder an die Zeit, die ich hier oben verbracht hatte. Das Tal hatte mir seine Macht gezeigt und mich gelehrt, seine Überlegenheit gegenüber dem menschlichen Verstand anzuerkennen.
    Noch jetzt kann ich das Gefühl spüren, das mich in diesem Moment überkam. Es war, als ob mich plötzlich eine Hülle umgab, eine Art Panzer, der undurchdringlich schien. Zeit und Raum lösten sich auf. Alles, was einen Menschen bewegt, all die Zweifel an sich, jede Qual, jegliche Verzweiflung kamen zum Stillstand. Was ich empfand, war ein ewiger, ja ein geradezu göttlicher Friede.
    Dead Valley, am Abend
Ich weiß nicht, wie ich zum Lagerplatz zurückgelangte. Ich weiß nicht, wie ich aus dem Labyrinth herauskam oder was genau dort unten mit mir passierte. Ich erinnere mich einfach nicht. Doch ich wachte in meinem Zelt auf mit dem Bewusstsein, dass ich in dieser Dunkelheit dort unten die Erleuchtung erfahren habe. Es war ein Erlebnis höchster Konzentration, in dem sich alle Kräfte in mir vereinigten. Wie unter Anleitung des Schamanen verschmolzen mein Verstand, meine Sinne, alle Gefühle miteinander, um mir am Ende diese Erkenntnis zu schenken, die die Sicht auf die Welt verändern wird. Ich habe dort unten einen Einblick in das Übernatürliche erhalten, und das macht meine Seele unsterblich.
    All dies spielte sich in wenigen Minuten ab. Bilder jagten durch mein Gehirn. Eine Folge von Zeichen, Symbolen und Zahlen, deren Bedeutung mir unklar war, doch einen geheimen Sinn zu beinhalten schienen. Im düsteren Licht der Fackel kritzele ich die Zeichen, wie sie mir in Erinnerung geblieben sind, in dieses Buch.
    Dead Valley, am Morgen
Ich erwache am frühen Morgen, als sich die Sonne über dem Berg erhebt. Es ist das erste Mal, seit ich aus dem Labyrinth zurückgekehrt bin, dass ich Hunger verspüre. Mir ist wieder, als ob ich alles nur geträumt habe. Doch als ich durch die Notizen der vergangenen Tage blättere, stoße ich am Ende auf die Folge von Zahlen, Symbolen und Zeichen, die ich in der Nacht aufgeschrieben habe. Und bin verzweifelt. Denn ich kann den Sinn dieser Formeln nicht mehr begreifen.

16. Rose
    Ich habe mir einen warmen Pullover und meine dicke Daunenweste übergestreift, dazu feste Schuhe, aber ich friere trotzdem. Für den Notfall habe ich die Taschenlampe dabei.
    Ich bin spät dran.
    Der Himmel ist schwarz vor Wolken. Das Licht düster. Doch als ich zum See hinunterlaufe, kann ich jedes Detail in der Umgebung erkennen, als würde die Sonne hell am Himmel scheinen.
    Das liegt am See – ein Naturphänomen, das sich keiner erklären kann und an das wir uns doch erstaunlich schnell gewöhnt haben. Vor allem in den Abendstunden, wenn die Luft kalt vom Ghost herunterweht, hat man den Eindruck, der See würde förmlich von innen heraus schimmern und sein Licht an die Umgebung abgeben.
    Ich unterdrücke ein Zähneklappern, als ich von der Straße, die nach Fields führt, in den Weg einbiege.
    Der Wald hier ist nicht so dicht wie auf der Nordseite des Sees. Eher licht, gesäumt von hohen Douglastannen, die in weitem Abstand

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