Der Flug der Adler
abgeknallt wie einen Hund. Dafür werde ich mich rächen. Setzen wir uns.«
Ihre Beherrschtheit versetzte ihn nach wie vor in Erstaunen. Gleichzeitig packte ihn eine seltsame Art von Erregung. Sie war so typisch Mittelschicht, so adrett und ordentlich in ihrem Tweedrock und dem Twinset. Um ihren Hals hing eine einfache Perlenkette. Sie hatte helles, wahrscheinlich nicht echtes blondes Haar und sah sehr gepflegt aus. Sie war sicher keine Schönheit, hatte aber irgendwie das gewisse Etwas. Es war äußerst verwirrend.
»Worum geht's also?«
»Als Murphy Sie angeworben hat, war das nicht für die deutsche Abwehr. Es war für den SD, den Nachrichtendienst der SS.«
»Ich weiß, wer die sind. Arbeiten Sie für die?«
»Wie man's nimmt. Hören Sie, hier in der Nähe gibt's doch bestimmt ein schönes Restaurant. Kommen Sie, ich lade Sie ein.«
»Großartige Idee. Vielleicht finden Sie ja sogar noch die Zeit, mir Ihren Namen zu nennen.«
»Fernando Rodrigues«, sagte er, während er ihr in den Mantel half.
»Portugiese? Also das ist jetzt wirklich interessant.«
Sie gingen zu einem kleinen italienischen Familienrestaurant auf der Westbourne Grove, das so früh am Abend noch ganz leer war. Dem Krieg zum Trotz standen Kerze n auf den Tischen. Sie setzten sich abseits in eine Nische, und er bestellte eine Flasche Rotwein und zwei Mal Lasagne. Es war unglaublich, wie sehr er sich für sie erwärmte, um ihr schließlich alles freiheraus zu erzählen.
»Die meisten Agenten der Abwehr sind enttarnt worden.«
»Der britische Geheimdienst behauptet allerdings, daß alle
aufgeflogen sind. Ich bin zwar nur ein völlig unbedeutendes Rädchen in der Ministeriumsmaschinerie, aber das habe ich mitbekommen«, sagte sie.
»Das mag sogar sein, aber die SD-Kontakte sind niemals abgebrochen worden. Sie wurden von einem kleinen Genie namens Klein eingerichtet, der in der Zwischenzeit allerdings gestorben ist. Sein Nachfolger ist ein gewisser Sturmbannführer Hartmann, der unmittelbar Himmler unterstellt ist.«
»Da sind wir ja in bester Gesellschaft. Und welche Rolle spielen Sie dabei?«
»Ich bin Handelsattaché an der portugiesischen Botschaft. Ich stehe via Diplomatenpost – die so gut wie unantastbar ist mit meinem Bruder Joel in Verbindung, der einen ähnlichen Posten an unserer Botschaft in Berlin hat. Ist alles äußerst praktisch und dazu auch noch idiotensicher.«
»Und wahrscheinlich äußerst lukrativ.«
»Von irgendwas muß der Mensch ja leben.«
»Ein schöner Anzug, den Sie da tragen, und die Uhr sieht nach echtem Gold aus.«
»Das Leben ist ein Freudenfest, Senhora.« Er lächelte.
»Ich halte Sie für einen Schuft, Mr. Rodrigues, aber Sie sind mir sympathisch«, sagte sie.
»Für Sie Fernando, bitte. Also, machen Sie mit oder nicht?«
»Natürlich mache ich mit. Ich arbeite als Sekretärin beziehungsweise Buchhalterin in der Rechnungsstelle des Heeresministeriums. Ist ziemlich langweilig dort, und ich habe auch keinen Zugang zu irgendwelchen brisanten Sachen.«
»Wer weiß? Die Dinge ändern sich.« Er nahm ein Kärtchen aus seiner Brieftasche. »Die Botschaft steht im Telefonbuch, aber hier ist für alle Fälle meine Adresse und Telefonnummer. Ich wohne auf der anderen Seite von Kensington Gardens. Ennismore Mews.«
»Ihnen scheint's ja tatsächlich gut zu gehen.«
In der Ferne hob Fliegeralarm an. »Da kommen sie wieder.« Sie sprang auf. »Wir sollten schnellstens hier verschwinden, solange es noch geht.«
Er zahlte die Rechnung und holte ihre Mäntel. »Wohin?« fragte er. »Der nächste Schutzraum dürfte bei der U-BahnHaltestelle Bayswater sein.«
»O nein, ich würde da nie im Leben bei einem Angriff runtergehen. Ich würde überhaupt nirgendwo runtergehen. Letzte Woche sind in der Holborn über einhundert Leute umgekommen, nachdem der Bahnhof einen Volltreffer abbekommen hat. Kommen Sie.«
Sie nahm ihn an der Hand und ging im Eilschritt mit ihm die Westbourne Grove entlang, während in der Ferne bereits die Bomben fielen. Sie kamen vor dem Wohnblock an. Sarah schloß die Haustür auf, und beide schoben sich in die Finsternis.
»Der Strom ist wieder abgestellt worden. Das heißt auch, daß der Aufzug nicht mehr geht. Nehmen Sie meine Hand, und folgen Sie mir die Treppe hoch. Ich kenne den Weg mit verbundenen Augen.«
Rodrigues stolperte unterwegs. Sie lachte und zog ihn wieder auf die Beine, und dann waren
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