Der Flug der Adler
dabei.« Er nahm die andere Tasche. »Ist das da mein Zimmer?« Als er die Tür öffnete, sagte er noch: »Wie ich höre, fliegst du morgen mit Eisenhower von Croydon nach Southwick House.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich euer Pilot bin.«
Obwohl es noch recht früh war, herrschte im River Room reges Treiben. Aber das war in diesen Tagen überall in London der Fall. Als Abe und Harry eintrafen, kam sofort der Oberkellner auf sie zu.
»Ich habe einen sehr netten Tisch für Sie am Fenster, Senator. Vier Personen sagten Sie?«
»Genau«, sagte Abe.
Nachdem sie Platz genommen hatten, bestellte er Champagner.
»Wer sind die anderen?« sagte Harry.
»Oh, als du im Bad warst, fand ich, daß es vielleicht eine gute Idee wär, mich einmal bei deinem Brigadegeneral Munro zu melden. Ich habe ihm erzählt, daß du heute mit mir zu Abend essen würdest, und ihn gefragt, ob er nicht auch kommen wolle. Er meinte, daß er gern seine Nichte mitbringen würde, eine Frau Doktor Sobel. Ihr kennt euch wohl, wenn ich richtig verstanden habe?«
»Ja, wir haben uns mal gesehen. Ist aber schon einige Zeit her. Ihre Mutter war Munros Schwester, also eine Engländerin. Und das letzte, was ich von dem Vater des Mädchens gehört habe, ist, daß er Colonel bei der Air Force ist.«
»Nicht mehr. Er ist mittlerweile Major General, und seit einem Monat ist er hier. Hat viel mit Ike zu tun.«
»Na, schön für ihn.« Harry runzelte die Stirn. »Ich frage mich, was Munro wohl zur Zeit so alles im Schilde führt?«
»Muß er denn etwas im Schilde führen?«
»O ja, ist für ihn wie Speis und Trank.«
In diesem Moment trafen Munro und Molly ein. Er trug Uniform, sie ein Abendkostüm, das aus einer Jacke und einem kurzen Rock aus braunem Crepe bestand. Sie hatte kaum Make up aufgelegt, und ihr Haar war mit einer braunen Samtschleife straff nach hinten gebunden.
Harry und Abe erhoben sich, und Munro sagte: »Meine Nichte Molly, Herr Senator.« Abe musterte sie mit einem unübersehbaren Ausdruck der Zustimmung im Gesicht. »Ich kenne Ihren Vater, und Sie wiederum kennen wohl meinen Enkel, wie ich gehört habe.«
Sie lächelte Harry an und schüttelte ihm die Hand. »Wie geht's Ihnen?«
»In der Blüte meines Lebens.«
»Das waren Sie doch immer.«
»Das letzte Mal, als ich Sie gesehen habe, haben Sie müde ausgeschaut«, sagte er.
»Und jetzt?«
»So hübsch, daß …« Er zögerte. »Daß man mit Ihnen tanzen möchte, und genau das werden wir jetzt auch tun und die ältere Generation ihren Unterhaltungen überlassen.«
Die Orpheans spielten einen langsamen Foxtrott, »Night and Day«. Molly schob sich in Harrys Arme. »Da wären wir also wieder«, sagte er.
»Und da sind Sie wieder, wie immer von Ruhm bedeckt.«
»Was ist mit Ihnen? Ich weiß noch, Sie waren damals im Cromwell. Immer noch dort?«
»Ab und zu. Ich bin mittlerweile Oberärztin.«
»Phantastisch. Da müssen Sie ja richtig gut sein.«
»Ach, der Krieg hilft, Sie wissen, wie das ist. Ich arbeite von einer zentralen Einsatzstelle aus und bin in verschiedenen Krankenhäusern tätig.«
»Arbeiten Sie auch weiterhin für Munro? Julie Legrande hat mir erzählt, Sie wären so was wie eine fliegende Ärztin für Cold Harbour.«
»Ab und zu.« Sie runzelte die Stirn. »Sie meinen damit doch noch etwas anderes.«
»Damals haben Sie und ich nach dem Mittagessen im Garrick einen Spaziergang gemacht. Ich habe mitbekommen, was der alte Dougal anschließend zu ihnen in der Wohnung gesagt hat. Er hat sie gebeten, aus mir herauszukriegen, was Sie können.«
»Oh, verflixt«, sagte sie. »Ich würde eine schlechte Spionin abgeben.«
»Ist schon in Ordnung. Der Spaziergang war schön gewesen. Haben Sie heute einen ähnlichen Auftrag?«
»Wenn Sie's unbedingt wissen wollen: Mein Onkel hat mir nur erzählt, daß er Sie heute abend hier treffen wird, und ich habe lediglich gefragt, ob ich mitkommen könnte.«
»Sieh an, das haben Sie? Ich frage mich, warum?«
»Hören Sie auf, sich wie ein gemeines Schwein zu benehmen, Harry Kelso. Sie wissen verdammt gut, warum.«
Einen Moment lang war sie den Tränen nah, und er bekam sofort ein schlechtes Gewissen. »Okay, tut mir leid, und ja, ich bin ein gemeines Schwein.«
Das Orchester ging in »A Foggy Day in London Town« über, und Molly schob sich zentimeterweise näher. »Wie geht's Jack Carter?« fragte er.
»Gut. Mittlerweile
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