Der Flug der Adler
Harry an den Tisch zurückkehr te, waren Abe und Munro gerade tief in eine Unterhaltung verstrickt. »Was ist denn mit euch beiden los?« sagte er, als er sich setzte. »Gewinnt ihr gerade den Krieg?«
»Nein, der Krieg ist bereits gewonnen, Harry«, sagte Abe. »Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
»Was ist mit den Geheimwaffen des Führers? Die Raketen und so weiter? Wir alle wissen, was gemunkelt wird. Die haben sogar ein einzigartiges Düsenflugzeug in der Entwicklung.«
»Unserer Einschätzung nach wird all dies keine Rolle spielen«, sagte Munro. »Wir werden gewinnen, daran gibt es keinen Zweifel. In Rußland und auf dem europäischen Festland stehen blutige Kämpfe bevor, aber der Endsieg ist unser.«
»Das hört sich an, wie ein Propagandaspruch der Deutschen.«
»Ja, weiß ich. Noch Champagner?«
»Lieber nicht. Ich muß morgen fliegen.«
»Brigadegeneral Munro hat mir von einer bestimmten Sache aus Berlin berichtet, die nicht gerade erfreulich ist«, sagte Abe. »Es hat ein mißglücktes Attentat auf Hitler gegeben. Eine größere Anzahl von Offizieren und zwei Frauen sind festgenommen und hingerichtet worden. Sie waren alle Mitglied in ein und demselben Bridge-Klub.«
»Na und?«
»Nun ja, Elsa gehört dem Klub ebenfalls an.«
Harry erblaßte und saß mit versteinertem Gesicht da. Dann schnippte er nach dem Weinkellner. »Ich werde doch noch ein Glas Schampus trinken.« Er zündete sich eine Zigarette an und wandte sich Munro zu. »Erzählen Sie.«
Als Munro fertig war, saßen sie alle schweigend da. Schließlich sagte Harry: »Und ihre Kontakte in Berlin sind zuverlässig?«
»Äußerst zuverlässig. Wir haben sogar Leute innerhalb der Streitkräfte, die uns Informationen liefern.«
»Und Sie sind sich sicher, daß meine Mutter nicht festgenommen wurde?«
»Absolut. Harry, sie hält eine hohe gesellschaftliche Stellung inne. Sie ist ständig in Begleitung Görings.« Er schüttelte den Kopf. »Wie dem auch sei, ihre Verbindung mit den ›falschen‹ Leuten wird im Gestapo-Hauptquartier nicht auf Beifall stoßen. So wie es aussieht, ist sie zwar kein Freund der Nazis, aber ihre privilegierte Stellung hat sie wohl bis jetzt geschützt.«
»Aber wird das auch so bleiben?«
»Na, wollen wir hoffen, daß der Schrecken des Geschehenen sie nachdenklich stimmt«, sagte Abe.
»Ich weiß nicht. Das Problem ist doch, daß sie sich bislang durch kein einziges Geschehnis in ihrem Leben hat nachdenklich stimmen lassen.« Harry war aufgebracht.
»Geht's Ihnen nicht genauso?« sagte Munro.
Harry lachte widerwillig. »Okay, Herr Brigadegeneral, okay. Dennoch hoffe ich, daß sie ihre Lektion gelernt hat.«
»Das tun wir alle«, sagte Abe.
In dem Moment tauchte der Oberkellner mit einem großen Umschlag auf. »Der Fotograf des Geschäfts um die Ecke hat dies hier abgegeben, Herr Oberstleutnant.«
»Danke.« Harry öffnete den Umschlag und nahm vier Abzüge
heraus. »Er hat's doppelt gut gemacht. Ich habe nur um zwei gebeten.«
Es war ein hübsches Bild, die beiden zusammen vor dem Eingang des Savoy. »Nehmen Sie eins für Molly und eins für sich. Und du bekommst auch eins, Abe.« Harry zog seine Brieftasche heraus, nahm kurz Maß und rief wieder den Oberkellner. »Sie haben sicher eine Schere. Schneiden Sie mir das doch bitte so, daß es in die Brieftasche paßt.«
»Mit Vergnügen, Sir.«
Harry trank seinen Champagner aus. »Und jetzt: Marsch, ins Bett! Wir müssen morgen früh raus, wenn wir nach Croydon wollen, Abe.«
»Das ist wohl wahr.«
Der Oberkellner kehrte mit der Brieftasche und dem Foto zurück.
»Haben Sie vielen Dank«, sagte Harry. Er steckte das Foto hinein. »Sie können Molly sagen, daß ich sie auf meinem Herzen trage, Herr Brigadegeneral. Bis bald«, und damit stand er auf und ging.
Sarah und Fernando saßen an ihrem gewohnten Tisch in dem kleinen Café in der Westbourne Grove.
»Gibt eigentlich kaum was zu berichten«, sagte sie. »Ich habe hier einen Dienstplan für Sondereinsatzpiloten, die Eisenhower von Croydon nach Southwick House fliegen. Er benutzt die dortige Rollbahn zur Zeit ziemlich häufig. London-Croydon und zurück.«
»Über diesen Oberstleutnant Kelso, der ihn morgen fliegt«, sagte Fernando, »über den wollte Berlin doch Näheres erfahren, oder?«
»Stimmt. Er ist offenbar dem Kurierdienst fest zugeteilt, aber das scheint noch längst nicht alles zu sein.
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