Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Zelt, und im Schutz der Planen lauschte ich den Regentropfen, die auf das doppelte Zeltdach prasselten. In diesen Momenten ließ ich mich auf die Stille ein und dachte über den tragischen Verlauf meines Abenteuers nach. Ich dachte an die Störche, an die Länder, die ich durchquert hatte wie ein Meteor, und die Flut von Gewalt, die unter meinen Schritten aufbrandete, und hatte das Gefühl, als folgte ich einem Fluß aus Blut, dessen Quelle ich bald entdecken würde - dort, wo Max Böhm das Herz seines Sohnes gestohlen hatte, wo drei Männer, Böhm, Kiefer und van Dötten, einen teuflischen Pakt auf der Grundlage von Diamanten und Störchen geschlossen hatten. Ich dachte auch an Sarah. Ohne Reue oder Trauer. Unter anderen Umständen hätten wir vielleicht unser Leben gemeinsam aufgebaut.
    Und ich gebe es zu, ich dachte auch an Tina, unsere Köchin. Wenn wir unterwegs waren, konnte ich nicht umhin, ihr verstohlene Blicke zuzuwerfen. Sie hatte das Profil einer Königin, einen schlanken Schwanenhals, der in ein kurzes Kinn mündete und dann in einen ausladenden Kiefer überging, überschüttet von breiten, sinnlichen, sanften Lippen. Unter der gewölbten Stirn funkelten ihre Augen, und von ihrem Schädel standen Zöpfe ab wie Antilopenhörner. Mehrmals hatte sie meine Blicke bemerkt und zu lachen begonnen, und ihr Mund war aufgeblüht wie eine kristallene Blume, und sie hatte gemurmelt: »Hab keine Angst, Louis.«
    »Ich habe keine Angst!« hatte ich in festem Ton geantwortet und mich wieder auf die Hindernisse auf meinem Weg konzentriert.
    Am dritten Tag war immer noch keine Spur eines Pygmäen-Lagers zu sehen. Der Himmel existierte nur noch in der Erinnerung, und vor Erschöpfung waren unsere Muskeln gespannt wie eiserne Stangen. Mehr denn je hatte ich das Gefühl, senkrecht in einen endlosen Schacht in der Erde hinabzusteigen, mitten ins Herz des pflanzlichen Lebens vorzudringen - ohne Hoffnung auf Rückkehr.
    Und doch, am 18. September nachmittags begegneten wir einem brennenden Baum. Ein roter Glutherd in einem feuchtgrünen Meer. Es war seit unserem Aufbruch das erste Anzeichen menschlicher Gegenwart. Hier hatte man es offensichtlich vorgezogen, den riesigen Stamm zu verbrennen, ehe er unter dem Gewicht der Regenmassen zusammenbrach. Triefend vor Nässe drehte Beckes sich um und sagte lächelnd: »Wir sind bald da.«

37
     
    Das Lager Zoko war auf einer großen, kreisrunden Lichtung errichtet. Laubhütten und Katen aus Laterit reihten sich rund um den Hauptplatz, der vollständig gesäubert und leer wie ein Stück Wüste war. Merkwürdigerweise hatten der Boden, die Wände und Laubkuppeln nicht mehr die Farben des Waldes, Grün und Rot, sondern waren von einem harten Ocker, als hätten die Menschen hier sich durch den Dschungel bis zur Erdkruste hinunter gegraben. Ins Dickicht der Pflanzenwelt hatten sie eine regelrechte Bresche gehauen.
    Es herrschte ein reges Treiben. Mit ausladenden Tragekörben aus geflochtenen Zweigen, randvoll mit Früchten, Körnern und Wurzelknollen, kehrten die Frauen vom Sammeln zurück, über andere Pfade trafen die Männer ein und schleppten erlegte Affen und Gazellen oder lange Fangnetze auf dem Rücken. Ein schwerer bläulicher Rauch waberte um die Hütten, kräuselte sich zu Spiralen und stieg schließlich über der Mitte des Lagers auf. Der Regen hatte vor kurzem aufgehört, und nach einer Weile erkannte ich in dem aufgeregten Durcheinander, daß vor den Hütten Frauen saßen und die Glut schürten, die den beißenden Rauch verströmte. »Pygmäen-Technik«, sagte Beckes. »Um die Insekten zu vertreiben.« Ein Gesang erhob sich, ein langer, hoher Singsang, durchsetzt mit plötzlichen klangvollen Tonsprüngen; die Sänger spielten mit ihrer Stimme wie auf einer hochempfindlichen Saite. Wir hatten diesen Gesang schon gehört, als wir an dem brennenden Baum vorbeigekommen waren. Die Akas kommunizierten auf diese Weise über größere Entfernungen oder drückten ganz einfach ihre Lebensfreude aus.
    Ein großer Schwarzer kam uns entgegen: Alphonse, der Lehrer, der >Eigentümer< der Pygmäen von Zoko. Er bestand darauf, daß wir uns vor Einbruch der Nacht auf einer zweiten, kleineren Lichtung in der Nähe niederließen. Dort stand ein etwa zehn Meter langes Regendach, unter dem seine Familie lebte. Neben diesem Dach schlug ich mein Zelt auf, während meine Gefährten Matten aus Palmenblättern flochten. Zum erstenmal seit drei Tagen waren wir im Trockenen.
    Alphonse redete wie ein

Weitere Kostenlose Bücher