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Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Süden erstreckte. Das Dorf rund um das Sägewerk schien auf dem Rand eines endlosen Abgrunds aus undurchdringlicher Vegetation zu balancieren.
    Ich sah auf. Sonderbare Männer umringten uns auf einmal, keiner höher als einen Meter fünfzig. Sie waren in Lumpen gekleidet, schmutzige T-Shirts, zerrissene Hemden. Ihre Haut war hell, karamelfarben, und ihre Gesichter lächelten sanft. Gabriel bot ihnen sogleich Zigaretten an, woraufhin sie in schallendes Gelächter ausbrachen. Der große Schwarze erklärte: »Das sind Akas, Chef, Pygmäen. Sie leben hier in der Nähe, in Zoumia, einem Hüttendorf.«
    Dann tauchten ein paar Frauen auf, mit nacktem Oberkörper und rundem Bauch, um die Taille einen Gürtel aus Laub oder Stoff. Ihre Kinder schleppten sie in Tragetüchern mit sich herum und lachten noch lauter als die Männer. Sie nahmen die angebotenen Zigaretten entgegen und rauchten mit Begeisterung. Alle Frauen hatten ihr Haar sehr kurz geschnitten, erst bei näherem Hinsehen offenbarten sich die Raffinessen. Eine Frau stellte auf dem Hinterkopf Sägezahnmuster zur Schau, eine andere trug zwei Furchen entlang den Schläfen, und ihre Augenbrauen waren zwei schön geschwungene, gepunktete Linien. Auf ihrer Haut erkannte ich Narbenwülste, die Kurven, Arabesken, phantastische Gestalten bildeten. Ein anderes Detail aber machte mich schaudern: alle diese Pygmäen hatten spitz zugeteilte Zähne.
    Gabriel stellte mir seinen Vetter vor, der mich bis nach Zoko begleiten würde: Beckes war ein hochgewachsener, schlaksiger Schwarzer in einem Trainingsanzug mit Adidas-Abzeichen, der niemals seine Sonnenbrille abnahm.
    Er trug eine entwaffnende Ruhe zur Schau. Er grinste mich breit an und bestellte mich für den nächsten Morgen um sieben zur selben Stelle - ohne weiteren Kommentar.
    Gabriel ging mit ihm. Er wollte enfamille speisen, in der SCAD. Ich bat ihn, in spätestens acht Tagen wieder herzukommen. Er nickte, zwinkerte mir zu und wünschte mir viel Glück. Meine Kehle war zugeschnürt, als ich das Motorengeräusch des Peugeot sich entfernen hörte.
    Bald war die Dunkelheit hereingebrochen. Eine Frau kochte ein Essen, von dem sie mir einen Napf voll reichte - ein Brei aus Maniok, eine Art grauweißer Leim, der nach Exkrementen roch und den ich mühsam hinunterwürgte. Ich beschloß, im Freien auf dem Dach zu schlafen, und kroch in meinen Baumwollschlafsack. Dann lag ich wach unter den Sternen, mit weit offenen Augen, und wartete auf den Schlaf. In wenigen Stunden würde ich den Urwald kennenlernen. Die grüne Hölle. Ich empfand eine unbestimmte Angst, hartnäckig wie das dumpfe Knurren unbekannter Tiere, die mich aus dem Dschungel heraus willkommen hießen.

36
     
    Am nächsten Morgen um sieben Uhr erschien Beckes. Wir tranken zusammen Tee. Er sprach ein sehr eingeschränktes Französisch, durchsetzt mit längeren Phasen des Schweigens und hier und dort einem nachdenklichen >gut, gut<. Aber im Dschungel des zentralafrikanischen Südens kannte er sich hervorragend aus. Die Piste vor uns, meinte er, freigelegt von den Bulldozern des Sägewerks, sei nicht länger als einen Kilometer. Danach müsse man auf schmalen Pfaden weitergehen. Auf solchen Wegen könnten wir Zoko nach einem dreitägigen Marsch erreichen. Ich nickte, freilich ohne die leiseste Vorstellung, was ein derartiger Marathon wirklich bedeutete.
    Nach und nach trudelte die Mannschaft ein: Beckes hatte fünf Pygmäen angeheuert, die unser Gepäck tragen würden. Fünf kleine zerlumpte Männer, die rauchten und grinsten und bereit schienen, uns bis ans Ende der Finsternis zu folgen. Er hatte sogar eine Köchin engagiert; sie hieß Tina und war eine junge M’Baka von betörender Schönheit. Mit wiegenden Hüften schritt sie in ihrem fransenbehängten Umhang einher und trug auf dem Kopf einen riesigen Kessel, in dem sie ihre Küchenutensilien und ihre persönlichen Habseligkeiten beförderte. Sie lachte unablässig, die Expedition in den Urwald schien sie zu entzücken.
    Ich verteilte Zigaretten und erklärte in groben Zügen den Verlauf unserer Wanderung; Beckes übersetzte in Sango. Ich sprach nur von der Expedition nach Zoko, meine weiteren Vorhaben erwähnte ich nicht. Vom Pygmäen-Dorf aus wollte ich mich im Alleingang zu den Minen von Otto Kiefer aufmachen, die nur ein paar Kilometer weiter im Südosten lagen. Noch einmal sagte ich, wir würden nicht länger als eine Woche unterwegs sein, dann studierte ich lang die rötliche Piste, die sich in einem monströsen

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