Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Flug der Stoerche

Der Flug der Stoerche

Titel: Der Flug der Stoerche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
aufragte. Ringsum erstreckten sich Gärten mit Blumen- und Gemüsebeeten. Ich ging auf die offenstehende Tür zu; ein großer Schwarzer stellte sich mir mit feindseliger Miene in den Weg. »Ist Schwester Pascale schon auf?« fragte ich. Ehe der Mann antworten konnte, ertönte drinnen eine Stimme: »Nur herein, keine Angst.« Ein autoritärer Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Ich gehorchte.
    Schwester Pascale trug keinen Schleier und keine Nonnentracht, sie war lediglich schwarz gekleidet, in Rock und Pullover. Ihre Haare waren kurz geschnitten, grau und widerborstig, und ihr Gesicht trotz zahlreicher Runzeln so zeitlos, wie Steine und Flüsse es sind; wie stählerne Klingen stachen ihre eisgrauen Augen aus dem Schlick der Jahre. Sie war breitschultrig und stämmig, mit Händen wie Schaufeln, und ich erkannte auf den ersten Blick, daß diese Frau durchaus gerüstet war, um mit den Gefahren des Dschungels, tödlichen Krankheiten und grausamen Jägern fertig zu werden.
    »Was wollen Sie?« fragte sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
    Sie saß am Tisch bei einer Tasse Kaffee und bestrich Brotscheiben mit Butter.
    Das Zimmer war weitgehend leer, abgesehen von ein paar Stühlen rund um den Tisch, einem Spülstein und einem Kühlschrank. An der Wand hing ein holzgeschnitzter Christus am Kreuz und bewachte den Raum mit seinem Märtyrerblick.
    »Ich heiße Louis Antioche«, sagte ich. »Franzose. Ich bin Tausende von Kilometern bis hierher gekommen, um Antwort auf bestimmte Fragen zu finden, und ich denke, Sie können mir helfen.«
    Schwester Pascale strich gelassen weiter ihre Brotscheiben. Es war ein weiches, feuchtes, mehr oder weniger gut erhaltenes Brot, dessen blendendes Weiß hier, mitten im Dschungel, wie ein unerwarteter Schatz wirkte. Die Schwester bemerkte meinen Blick.
    »Oh, verzeihen Sie. Ich vernachlässige meine Pflicht. Nehmen Sie bitte Platz und frühstücken Sie mit mir.«
    Ich holte mir einen Stuhl, während sie mir einen Blick zuwarf, der nichts als Gleichgültigkeit ausdrückte.
    »Und was sind das für Fragen?«
    »Zuerst möchte ich wissen, wie das Mädchen Gomun gestorben ist.«
    Die Frage entlockte ihr keine Äußerung des Erstaunens. Sie gab zunächst auch keine Antwort, sondern griff nach der heißen Kaffeekanne und fragte. »Trinken Sie Kaffee? Oder ziehen Sie Tee vor?«
    »Tee ist mir lieber, danke.«
    Sie winkte dem Boy, der sich im Hintergrund hielt, und rief ihm etwas auf Sango zu. Sekunden später stand eine dampfende Tasse vor mir, und ich roch den herben Duft irgendeiner Darjeeling-Sorte.
    »Sie interessieren sich also für die Akas?« fragte Schwester Pascale.
    »Nein«, sagte ich, während ich in meine Tasse blies. »Ich interessiere mich für gewaltsame Todesfälle.«
    »Wie das?«
    »Weil mehrere Menschen auf dieselbe Weise umgebracht worden sind, hier in diesem Wald und anderswo.«
    »Stellen Sie Nachforschungen über wilde Tiere an?«
    »Ja, gewissermaßen. So kann man das wohl sagen.«
    Über unseren Köpfen trommelte der Regen aufs Dach, Schwester Pascale tunkte ihr Brot ein, das sich bei der Berührung mit der Flüssigkeit in Brei verwandelte, so daß sie
    mit einer raschen Bewegung des Unterkiefers nach dem äußersten Ende des Brotes schnappte, das abzufallen drohte. Mit keinem Zeichen gab sie zu erkennen, daß meine Reden sie irgendwie befremdeten, aber ich fand, daß hinter ihren Worten eine merkwürdige Ironie lauerte. Ich versuchte, ihre Doppelsinnigkeiten zu unterbinden.
    »Schwester Pascale, lassen Sie uns ganz offen sein. Ich glaube kein Wort von dieser Gorillageschichte. Vom Dschungel habe ich keine Ahnung, aber zufällig weiß ich, daß Gorillas in dieser Gegend eher selten sind. Ich denke, Gomuns Tod gehört in dieselbe Reihe von Verbrechen, über die ich Nachforschungen anstelle.«
    »Junger Mann, mir ist nicht klar, wovon Sie reden. Zuerst müßten Sie mir erklären, wer Sie sind und was Sie herführt. Wir sind mehr als fünfhundert Kilometer von Bangui entfernt. Sie mußten etwa vier Tage marschieren, um in dieses gottverlassene Urwaldnest zu kommen, und man braucht triftige Gründe, um derlei auf sich zu nehmen. Sie sind offensichtlich weder von der französischen Armee, noch sind Sie Völkerkundler oder Geologe oder haben sonst irgendwie mit Diamanten zu tun. Wenn Sie wollen, daß ich Ihnen helfe, rate ich ihnen, mich zunächst einmal aufzuklären.«
    Mit so knappen Worten wie möglich faßte ich meine bisherigen Erlebnisse zusammen. Ich berichtete von

Weitere Kostenlose Bücher