Der Flug der Stoerche
seiner Privatkonten und der Konten seines Verbandes besaß der Ingenieur an die achthunderttausend Schweizer Franken. Ein Nummernkonto ließ sich nicht ausfindig machen (ich bin aber überzeugt, daß es existiert!). Wann und wie hat Böhm derart viel Geld gescheffelt? Sicherlich hat er während seiner Auslandsaufenthalte das eine oder andere Geschäft gemacht. An Gelegenheiten wird es ihm nicht gefehlt haben. Ich bin geneigt, irgendwelche Mauscheleien mit Bokassa zu vermuten - Handel mit Gold, Diamanten, Elfenbein ... Ich warte noch auf die Zusammenfassung der beiden Prozesse, die man dem Diktator gemacht hat. Vielleicht taucht irgendwo der Name Max Böhm auf.
Das größte Rätsel ist derzeit die Herztransplantation. Frau Dr. Catherine Warel hatte mir versprochen, in allen Kliniken und Krankenhäusern in der Schweiz nachzuforschen. Sie hat nichts gefunden. Ebensowenig wie in Frankreich oder irgendwo sonst in Europa. Also wo und wann hat diese Operation stattgefunden? Vielleicht in Afrika - das ist weniger abwegig, als es aussieht: 1967 hat Christiaan Barnard in Kapstadt, Südafrika, die erste Herztransplantation vorgenommen, bereits einen Monat später die zweite. Aber Böhm wurde nicht von Barnard operiert, das habe ich nachgeprüft: im Archiv des Grote-Schuur-Krankenhauses findet sich kein Max Böhm.
Merkwürdig ist außerdem, daß Max Böhm anscheinend blendend in Form war. Ich habe noch einmal sein Chalet auf den Kopf gestellt und nach irgendwelchen Hinweisen gesucht - medizinischen Unterlagen, Rezepten, Medikamenten, Laborberichten. Nichts. Ich habe seine Bankkonten und Telefonrechnungen überprüft: nicht ein Scheck, nicht ein Anruf, der sich irgendwie mit einem Kardiologen oder einer Klinik in Verbindung bringen läßt. Dabei ist ein Mensch mit einem fremden Herzen kein gewöhnlicher Patient. Er muß ärztlich überwacht werden - sich regelmäßig untersuchen und Biopsien, EKG, Blutanalysen usw. durchführen lassen. Vielleicht ist er dazu ins Ausland gefahren? Böhm ist in Europa viel herumgereist - aber natürlich lieferten ihm die Störche einen ausgezeichneten Grund, um nach Belgien, Frankreich, Deutschland etc. zufahren. Aber auch das führt uns nirgendwohin.
Soweit bin ich jetzt. Sie sehen, Max Böhm ist eine höchst rätselhafte Gestalt. Glauben Sie mir, Louis: es gibt einen Fall Böhm. Hier im Kommissariat von Montreux hat man ihn zu den Akten gelegt. Die Presse trauert und hält Lobreden über den >Storchenmann<. Was für eine Ironie! Die Beerdigung fand auf dem Friedhof von Montreux statt, die gesamte Prominenz der Stadt war anwesend und überbot sich gegenseitig in hohlen Worten.
Die letzte Neuigkeit: Böhm hat sein gesamtes Vermögen testamentarisch einer in der Schweiz sehr bekannten humanitären Organisation vermacht: Monde Unique. Das könnte eine neue Fährte sein. Ich setze die Ermittlungen fort. Lassen Sie von sich hören!
Hervé Dumaz
Der Inspektor verblüffte mich immer wieder. Innerhalb weniger Tage hatte er handfeste Informationen zusammengetragen. Ich faxte ihm sofort eine Antwort. Die Unterlagen, die ich bei Böhm gefunden hatte, verschwieg ich ihm nach wie vor - mit schlechtem Gewissen zwar, aber ich empfand eine merkwürdige Scham, die mich daran hinderte. Eine undeutliche Ahnung warnte mich davor, dem Augenschein zu trauen, diesen Unterlagen, deren Brutalität allzu offensichtlich war.
Es war zwei Uhr morgens. Ich löschte das Licht, sah im Halbdunkel den Schatten zu und dachte über Max Böhms geheime Wahrheiten nach. Was hatte er wirklich getrieben? Und welche Rolle spielten dabei die Störche, für die sich anscheinend sehr viele Leute interessierten? Bargen sie vielleicht Geheimnisse, deren Brisanz mich überforderte? Mehr denn je war ich entschlossen, der Sache nachzugehen. Bis auf den Grund.
8
Am nächsten Morgen verschlief ich und erwachte mit starkem Kopfweh. Joro wartete schon in der Halle auf mich, und wir brachen sofort auf. Am späten Nachmittag fragte Joro mich aus über mein Leben in Paris, meine Geschichte, mein Studium. Ringsum knisterte die Erde vor Hitze, und an den ausgedörrten Sträuchern weideten ein paar Schafe.
»Und die Frauen, Louis? Hast du eine Frau ein Paris?«
»Ich hatte eine. Mehrere sogar. Aber ich bin eher ein Einzelgänger. Und die Mädchen machen nicht den Eindruck, als täte es ihnen leid.«
»Nein? Ich hätte gedacht, ein so fescher Mensch wie du
gefällt den Pariserinnen.«
»Tja, alles eine Frage des Kontakts«,
Weitere Kostenlose Bücher